"Krise oder Kriselchen", fragt sich Le Soir auf Seite eins. "Die Regierung kämpft ums Überleben", heißt es bei De Morgen. "Hochspannung in der Wetstraat", schreibt De Standaard auf seiner Titelseite.
Bei den Haushaltsverhandlungen der Föderalregierung war es am Montagabend zu einem Eklat gekommen, als Vize-Premier Kris Peeters von den flämischen Christdemokraten der CD&V den Verhandlungstisch verließ. Den ganzen Dienstag sorgte das für Unruhe in der Regierung und im Parlament, bis sich die Regierungsparteien am Dienstagabend wieder zu einer neuen Verhandlungsrunde an den Tisch setzten.
Viel Aufruhr für wenig
Kommentierend meint dazu La Libre Belgique: Premierminister Charles Michel hat richtig gehandelt. Er hat allen eine Auszeit gegönnt, als sich die Situation zu verkrampfen schien. Jetzt geht es also weiter und es wird wieder um Inhalte gehen. Wer hat dabei Recht, wer unrecht? Der Wunsch der CD&V, eine Steuer auf Aktiengewinne einzuführen, ist grundsätzlich eine gute Idee, um für mehr Gerechtigkeit in der Gesellschaft zu sorgen. Aber Wirtschaftsexperten haben schon errechnet, dass diese neue Steuer nicht viel Geld einbringen wird. Trotzdem wird die CD&V nicht lockerlassen: Sie will diese Steuer quasi als Trophäe. Man wird sie also beschließen, aber in einer abgeschwächten Version, die fast keinem wehtun wird. Und ja, genau für dieses magere Ergebnis wird es diesen ganzen Aufruhr von Dienstag gegeben haben, meint La Libre Belgique.
Le Soir schreibt: Die Regierung feiert pünktlich zu ihrem zweiten Geburtstag eine erste kleine Krise. Nun, man könnte ihr eigentlich gratulieren dazu, dass diese Krise erst jetzt ausbricht. Denn schon seit Beginn dieser Mitte-Rechts-Koalition hatte es gewaltig geknirscht im Gebälk. Der Störenfried war schon immer die CD&V. Die Sozialpolitik mit ihren Errungenschaften ist ein Grundpfeiler dieser Partei. Durch die Ausrichtung der Koalitionspartner - liberal und unternehmensfreundlich - war dieser Pfeiler immer schon bedroht. Jetzt ist es halt mal zum Eklat gekommen. Wobei die Methode, die dafür gewählt worden ist, fast schon ans Lächerliche grenzt, findet Le Soir.
"Schlechte Manieren"
Ähnlich wertet die Wirtschaftszeitung L'Echo: Das sind schlechte Manieren, die die CD&V mal wieder an den Tag gelegt hat. So geht man nicht mit Partnern um, die sich gegenseitig respektieren. Aber das sind wir von den flämischen Christdemokraten ja schon lange gewohnt. Fragen Sie mal bei Ex-Premier Elio Di Rupo nach - er kann Ihnen viel über den Zickzackkurs der CD&V berichten. Das ist Punkt eins. Punkt zwei ist die inhaltliche Forderung. Und hier hat die CD&V natürlich recht. In Zeiten, wo alle den Gürtel enger schnallen sollen, ist es nur recht und billig, wenn Aktieninhaber das auch tun müssen, urteilt L'Echo.
Auch für De Morgen ist es kein Wunder, dass die CD&V die Regierung jetzt in eine Krise gestürzt hat: Die CD&V ist mit einem konkreten Plan in die Regierung eingetreten. Die Partei wollte den sozialen und fiskalen Kahlschlag in Grenzen halten, der der Gesellschaft durch die anderen Koalitionspartner drohte. Jetzt hat die CD&V mal an der Reißleine gezogen, so De Morgen.
Kein Gesamtkonzept
De Standaard kommentiert: Der Kurzschluss zwischen CD&V und den anderen Regierungsparteien beschädigt nicht nur den Zusammenhalt der Regierung. Er geht darüber hinaus. Denn natürlich ist es keine Art, das Parlament einfach zusammenkommen zu lassen, ohne dass sich auch nur ein einziger Regierungsvertreter dort zeigt. Aber auch allgemein ist der jetzige Streit nur das sichtbare Ergebnis einer Malaise, die schon lange dieser Koalition innewohnt. Es fehlt ihr an Weitsicht und der Fähigkeit, ein Gesamtkonzept für die Gesellschaft zu entwerfen - und politisch umzusetzen.
Es ist schon tragisch zu sehen, wie viel politische Energie bislang verschwendet worden ist, ohne dass wir unserem Ziel nähergekommen sind. Nämlich einer fairen Unternehmensbesteuerung, die zur Schaffung von Arbeitsplätzen anregt, Steuerflucht verhindert und die Steuerzahler in einer Solidargemeinschaft vereint, anstatt sie gegeneinander aufzuhetzen, bemerkt De Standaard.
Fehlendes Nationalgefühl
Die vor kurzem angekündigten Maßnahmen der niederländischen Bank ING, zahlreiche Filialen in Belgien schließen und tausende Mitarbeiter entlassen zu wollen, greift La Dernière Heure in ihrem Leitartikel auf und schreibt: Das Szenario kennen wir in Belgien bereits. Wir sind ein Land, das offen ist für ausländische Unternehmen. Doch dabei scheinen wir zu naiv zu sein. Denn diese ausländischen Unternehmen haben es nicht auf unser Wohl abgesehen.
Im Gegenteil: Sie lassen gerade uns gerne als erste fallen, sobald irgendwo gespart werden muss. Und das Zugunsten eines Nationalismus, der sich auf die Rettung des Geschäfts im Heimatland konzentriert. Ein solcher Nationalismus im Wirtschaftsleben scheint uns Belgiern nicht gegeben. Aber wo sollte er auch herkommen? Unser Nationalgefühl ist ganz grundsätzlich viel zu schwach ausgeprägt, findet La Dernière Heure.
Kay Wagner - Bild: Benoit Doppagne/BELGA