"Die CD&V pokert hoch", titelt De Standaard. "Peeters setzt Michel das Messer an die Kehle", so die Schlagzeile von Het Nieuwsblad. "Warum die CD&V bereit war, die Regierung zu kippen", schreibt La Libre Belgique auf Seite eins.
Eigentlich müsste diese letzte Schlagzeile im Präsens formuliert sein. Was die Zeitungen nämlich nicht wissen konnten: Die Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Regierungskoalition haben sich inzwischen zu einer veritablen Krise entwickelt. Wegen anhaltender Differenzen musste Premierminister Charles Michel die für Dienstagnachmittag in der Kammer geplante Rede zur Lage der Nation zunächst verschieben.
Krisenstimmung in der Regierungskoalition
Auf dem Tisch lag auf der einen Seite zunächst der Haushalt für das laufende und das kommende Jahr. Offenbar hat die Regierung das drohende Milliarden-Loch aber stopfen können. Daneben ging es aber auch um eine Reihe von Reformvorhaben. Die N-VA verlangt weiter eine Senkung der Körperschaftssteuer. Die CD&V hat ihrerseits buchstäblich in letzter Minute einen Vorschlag für eine Steuer auf Aktiengewinne präsentiert. Die drei anderen Koalitionspartner sind strikt dagegen.
"Die Steuer auf Börsenmehrwerte spaltet einmal mehr die Regierung Michel", kann denn auch Het Belang van Limburg nur feststellen. Am Montag im Laufe des Tages haben sich die Fronten dann allerdings verhärtet. Die CD&V hält jedenfalls unnachgiebig an ihrer Forderung fest; der CD&V-Vizepremier Kris Peeters gab dabei indirekt zu verstehen, dass seine Partei die Steuer auf Börsenmehrwerte sogar zur Schicksalsfrage für die Regierung machen will.
"Wir müssen diese Steuer ganz einfach haben!", macht Peeters noch einmal in De Standaard klar. "Krisenstimmung in der Schwedischen Koalition", so fasst es denn auch La Libre Belgique zusammen. Für De Morgen ist das Kind schon jetzt in den Brunnen gefallen: "Ob nun mit oder ohne Einigung, zwischen Peeters und den übrigen Koalitionspartnern klafft ein tiefer Graben", stellt das Blatt auf seiner Titelseite fest. Inzwischen weiß man ja, dass es keine Einigung gibt; entsprechend dürfte besagter Graben nur noch tiefer geworden sein.
"Was für ein unerträglicher Karneval", wettert Le Soir in seinem Leitartikel. Seit Monaten steht der Termin fest. Das alles ist so vorhersehbar. Entsprechend kann man eigentlich nur mit Kopfschütteln reagieren, wenn die Haushaltsberatungen am Ende doch wieder in ein Rennen gegen die Zeit ausarten. Schlimmer noch: Am Montag wurde der koalitionsinterne Krieg quasi öffentlich, als ein Vizepremier schon über ein Abkommen über den Haushalt schwadronierte, was dann fünf Minuten später von einem anderen dementiert wurde. Dieses Land hat Besseres verdient als ein solches Schmierentheater.
Worum geht es der CD&V wirklich?
Einige Blätter hinterfragen die Strategie der CD&V. Kris Peeters und seine Partei wollen offensichtlich die derzeitige Schwäche der N-VA ausnutzen, analysiert La Libre Belgique. Die Partei von Bart De Wever war ja vor einigen Wochen von einer internen Krise erschüttert worden. Was die CD&V dabei vergisst: Durch ihr gefährliches Pokerspiel offenbart sich auch ihre eigene Schwäche, wenn sie keine andere Möglichkeit mehr sieht, als ihre Forderungen mit der Brechstange durchzusetzen. Und für die Öffentlichkeit entsteht hier wieder das desaströse Bild von ewig streitenden Politikern.
Die CD&V will sich endlich auch einmal einen Skalp an den Gürtel hängen können, glaubt auch Het Nieuwsblad. Sie will endlich auch mal Akzente setzen. Dabei wird die von der Partei geforderte "Steuergerechtigkeit" aber fast schon zum Schlagwort. Im Grunde geht es hier nur um die symbolische Wirkung. Experten haben jedenfalls schon vorgerechnet, dass die Auswirkungen der von den Christdemokraten vorgeschlagenen Abgabe äußerst begrenzt sein würden.
Hier geht es um ein symbolisches Kräftemessen, ist auch De Standaard überzeugt. Genauer gesagt: Hier geht es ums Prinzip. Eben wegen der überschaubaren Auswirkungen der Steuer ist die Krise nämlich nicht anders zu erklären. Für die liberale OpenVLD steht eine solche Abgabe aus ideologischen Gründen grundsätzlich außer Frage. Schade nur, dass für ein solches Scheingefecht so viel Energie verplempert wird.
Für De Morgen ist die ganze Geschichte ein Indiz dafür, wie groß das Misstrauen innerhalb dieser Regierung ist. Es ist bestimmt kein Zufall, dass die CD&V ihren Vorschlag erst kurz vor Toresschluss auf den Tisch gelegt hat. Anderenfalls wäre man Gefahr gelaufen, dass die Idee abgeschossen worden wäre, bevor sie auf dem Tisch der Regierung landete.
"Hört auf mit dem Unsinn!"
Nur ist das wirklich seriöse Politik, fragt sich wütend Het Laatste Nieuws. Derartige Lastminute-Vorschläge, vermeintlich heroische nächtliche Marathonsitzungen, das ist eigentlich nichts anderes als das Melodram einer Gruppe von dilettantischen Amateuren. Es kann doch niemand ernsthaft glauben, dass man Reformen wie eine Steuer auf Aktiengewinne oder auch die Reform der Körperschaftssteuer mal eben buchstäblich über Nacht beschließen kann.
Hört auf mit dem Unsinn!, fordert auch Het Belang van Limburg. Beide Reformvorhaben, die Steuer auf Börsenmehrwerte und auch die Körperschaftssteuer, die muss man doch erstmal durchrechnen, die Auswirkungen müssen doch erstmal simuliert werden. Deswegen darf man diese Akten auch nicht übers Knie brechen. Wenn sich die Regierung hier mehr Zeit gibt, dann hätte das nichts mit einem gleich wie gearteten Gesichtsverlust zu tun. Vielmehr wäre das einfach nur ein Zeichen für vernünftige Amtsführung.
Roger Pint - Bild: Benoit Doppagne/BELGA