"Die 1.000 verlorenen Jobs, von denen ING nicht spricht", titelt Het Laatste Nieuws. Das Sozialdrama bei ING Belgien könnte noch schlimmer ausfallen, als ohnehin schon gedacht, bislang war ja von 3.500 Jobs die Rede, die in den nächsten Jahren gestrichen werden sollen. Hier wurden aber noch nicht die Filialen berücksichtigt, die bereits jetzt unter Franchise von Selbständigen geleitet werden. Und nach Berechnungen eines Branchenverbandes stehen hier noch einmal zusätzlich 1.000 Jobs auf der Kippe.
"Und trotz dieser schlechten Neuigkeiten steht das Land noch nicht in Brand", konstatiert Het Nieuwsblad. Vorangegangene Sozialdramen waren immer begleitet von Streiks und grimmigen Straßenprotesten. Im Finanzsektor gebe es aber längst nicht eine so ausgeprägte Protestkultur, bemerken Gewerkschafter; und viele Menschen seien sich wohl auch noch nicht darüber im Klaren, wie sehr ihr Job bedroht ist.
ING – Die Aktionäre und ihr Hackebeil
Einige Zeitungen versuchen immer noch die genauen Ursachen für den sozialen Kahlschlag bei ING zu ergründen. "Waren es wirklich die Aktionäre, die das Hackebeil gefordert haben?", fragt sich etwa De Standaard. Für den niederländischen Hautpgeschäftsführer der ING-Gruppe, Ralph Hamers, ist das so. Nach seinen Angaben bestehen die Aktionäre auf einer Rendite von um die zehn Prozent. Wenn das wirklich die Norm ist, dann haben 95 Prozent aller Banken ein ausgewachsenes Problem, kann De Standaard aber nur feststellen. Renditen von zehn Prozent sind in der Branche laut Statistik die absolute Ausnahme. "Für Ralph Hammers sind aber allein die Zahlen wichtig", so porträtiert Het Laatste Nieuws den ING-Chef.
Bei der Deutung der Umstrukturierung stehen sich zwei Schulen gegenüber, notiert Het Nieuwsblad in seinem Leitartikel. Auf der einen Seite sind da die Fatalisten, die in dem Ganzen aber eine Chance sehen. Nach dem Motto also: Veränderungen sind nötig; unterm Strich werden aber immer noch mehr neue Arbeitsplätze geschaffen als deren verschwinden. Auf der anderen Seite sind die Schwarzseher, die einen langsamen Niedergang erkennen wollen. Für die Regierungen ist das Resultat aber das Gleiche. Hier gilt: Wenn wir die Schockwellen schon nicht aufhalten können, dann stellt sich immer die Frage, wie man sie denn abfedern sollte.
Für Le Soir sind die Ereignisse bei ING sozusagen der letzte Sargnagel. Das Vertrauen in die Banken war längst in seinen Grundfesten erschüttert. Spätestens seit der Finanzkrise 2008 gingen Banker allenfalls noch gierige, arrogante, größenwahnsinnige Zocker durch. Und spätestens seit ING stellt sich wirklich die Frage, ob eine staatseigene Bank nicht doch wünschenswert ist. Konkret: Warum sollte man nicht die Belfius-Bank, die ja ohnehin schon dem Staat gehört, mit dem Versicherer Ethias und der Bank von Bpost fusionieren? Der Vorteil: Eine solche Bank würde in jedem Fall nicht von unersättlichen Aktionären vor sich hergetrieben.
Die Digitalisierung: eine faule Ausrede
"Der Digitalisierung dem Prozess zu machen, das wäre in jedem Fall zu kurz gegriffen", sagt derweil der zuständige Föderalminister und Vize-Premier Alexander De Croo in La Libre Belgique und La Dernière Heure. Seine Botschaft: Man kann die Zukunft nicht aufhalten; die Internetwirtschaft und alles, was darum kreist, wird tausende neue Arbeitsplätze schaffen.
Für L'Avenir ist die Digitalisierung ohnehin nur eine faule Ausrede. Natürlich steht der Finanzsektor vor großen Herausforderungen, weil sich das Kundenverhalten radikal verändert. Doch das ist nicht mal die halbe Wahrheit. Seit sich die Banken 2008 so grandios verzockt haben, gelten neue Regeln. Die Folge: Vorbei die schöne Zeit; die wunderbaren Renditen von früher sind Geschichte. Allein die Digitalisierung und damit indirekt den Kunden für die Probleme verantwortlich zu machen, ist fast schon unverschämt. Hier geht's um Profit, nicht mehr und nicht weniger. Und deswegen ist ING wahrscheinlich leider nur der Anfang.
Auch angesichts dieser Gefahr holt die Regierung offenbar zum Gegenschlag aus. "Kris Peeters will kollektive Entlassungen erschweren", schreibt L'Écho auf Seite eins. Demnach soll das so genannte Renault-Gesetz verschärft werden.
Jetzt bitte keine emotionalen Schnellschüsse, mahnt aber L'Écho in seinem Leitartikel. Natürlich verspüren Politiker im Moment einen gewissen Profilierungsdrang. Und da werden auch schon mal unausgegorene Ideen produziert. Im Sinne aller Beteiligten sollte man da aber mal drüber schlafen.
Ratschläge für die Regierung
Quasi ganz nebenbei arbeitet die Regierung ja auch an ihren Haushaltplänen für das laufende und das kommende Jahr. Einige Leitartikler wollen der Koalition da offensichtlich einige gutgemeinte Ratschläge mit auf dem Weg geben. De Standaard etwa plädiert nachdrücklich für die Abschaffung der so genannten Spekulationssteuer. Wie sich herausgestellt hat, kostet die Abgabe mehr als sie einbringt. Da gibt es allerdings ein Problem: Die Spekulationsteuer war so etwas wie das Feigenblatt dieser Mitte-Rechts-Regierung. Und an Symbolen rüttelt man nicht, selbst wenn sie falsch sind.
Het Laatste Nieuws bricht seinerzeit eine Lanze für eine Reform der Körperschaftssteuer, genauer gesagt eine Senkung von jetzt 33 auf dann 20 Prozent. Im Gegenzug müssen dann aber Hintertüren geschlossen werden, allen voran gehören die so genannten Fiktivzinsen abgeschafft, fordert das Blatt. Diese Fiktivzinsen haben es internationalen Konzernen ermöglicht, Steuern in Millionenhöhe zu vermeiden. Das ist heute nicht mehr vertretbar.
Renten-Alarm!
Beängstigende Schlagzeile schließlich auf Seite eins von Het Nieuwsblad: "Eine Beschneidung der Renten ist unvermeidlich", schreibt das Blatt. Demnach schlagen Experten Alarm: Das augenblickliche Rentenniveau sei nicht zu halten, schlimmer noch: "Die gesetzliche Rentenversicherung wird einstürzen", sagen zwei Fachleute. Die Rentenkrise werde kommen, sagen die Experten, die Frage ist nicht ob sondern wann.
Roger Pint - Bild: Siska Gremmelprez/Belga