"Ohne Beispiel", titelt empört La Libre Belgique. "Und wieder werden Jobs geopfert", stellt Le Soir auf seiner Titelseite fest. "Eiskalte Logik", so die Diagnose von De Morgen.
Heute gibt es nur ein Thema, nämlich die angekündigte drastische Umstrukturierung bei der ING-Bank. L'Echo fasst es auf Seite eins treffend zusammen: "ING setzt alles auf die digitale Bank und streicht 3.500 Stellen in Belgien".
Die Zahl 3.500 steht auch auf Seite eins von Gazet van Antwerpen. Sie ist fett durchgestrichen. Das ist der schlimmste soziale Kahlschlag seit dem Ende von Ford Genk. ING will sein Zweigstellennetz radikal zusammenstreichen, am Ende soll nur noch rund ein Viertel der Filialen übrigbleiben. Die Philosophie beschreibt L'Echo folgendermaßen: "Von der Zweigstellenbank zur mobilen App".
Viele Zeitungen bringen ein Foto des Spruchbandes, das die Gewerkschaften vor dem Brüsseler ING-Hauptsitz ausgerollt hatten: "ING, shame on you!!!", "Schäm dich!!!" Einige Blätter teilen die Empörung: "3.500 Jobs werden gestrichen, dabei hat ING Belgien noch im letzten Jahr einen Gewinn in Höhe von 1 Milliarde Euro gemacht", schreibt Het Belang van Limburg auf Seite eins.
Het Nieuwsblad bringt aber die Begründung des niederländischen Hauptgeschäftsführers der ING-Gruppe: "Wir müssen das Dach reparieren, wenn die Sonne scheint", sagt der Manager. Die Sonne scheint aber offensichtlich auch für ihn selbst: "ING streicht 3.500 Stellen, gleichzeitig steigen die Bezüge des CEOs um 28 Prozent".
Die Digitalisierung schlägt knallhart zu
Was den Fall ING so empörend macht, das ist eben die Tatsache, dass die Bank völlig gesund ist, konstatiert De Standaard in seinem Leitartikel. Allerdings: Es ist nachvollziehbar, dass sich ein Konzern für die Zukunft vorbereiten will. Konkret: Was will eine Bank auf Dauer noch mit einem engmaschigen Zweigstellennetz? Und da würde auch keine Gesetzgebung helfen, die gesunden Betrieben Jobstreichungen verbieten würde. Man kann eben die Zukunft nicht aufhalten.
Het Nieuwsblad sieht das ähnlich. Gerade im Finanzsektor schlägt die Digitalisierung knallhart zu. Und man kann doch von keinem Privatunternehmen verlangen, dass es gegen alle Trends an seinen Schalterangestellten festhält. Und die Zukunft gehört nun mal geschulten IT-Kräften, App-Entwicklern und anderen neuen Jobprofilen. Die "alten" Arbeitsplätze bleiben da auf der Strecke. Das wird leider nicht der letzte schwarze Montag bleiben.
7.000 Stellen weniger, aber zehn Prozent Dividende
Andere Zeitungen sehen das nicht ganz so fatalistisch. Der Preis ist zu hoch, findet etwa Le Soir. Natürlich gibt es die Zeichen der Zeit, natürlich machen wir lieber unsere Bankgeschäfte vom Sofa aus. Man sollte sich aber nicht in die Tasche lügen: Hier handelt es sich ganz klar auch um eine Sparmaßnahme. Und das zum Wohle der Aktionäre, deren Appetit offensichtlich inzwischen grenzenlos ist.
De Morgen schlägt in dieselbe Kerbe. Die ING-Geschäftsleitung schwadroniert darüber, dass sich der Konzern neu aufstellen muss, mach dem Motto: Säbeln, um zu blühen, man muss sich eben verändern. Das gilt allerdings für alle, nur nicht für die Aktionäre. Die bekommen jetzt eine Dividende von zehn Prozent. Statt die Anteilseigner um Geduld zu bitten, hat es ING vorgezogen, 7.000 Familien in eine unsichere Zukunft zu stürzen. Mit Innovation hat das nichts zu tun.
ING ist womöglich erst der Anfang
Und die "schlaflosen Nächte", die Belgien-Chef Rik Vandenberghe gehabt haben will, die nimmt ihm keiner ab, meint Het Laatste Nieuws. Wer jährlich eine Milliarde Euro Gewinn erwirtschaftet, der kann nicht allen Ernstes den mitfühlenden Manager geben, wenn er zum Wohle ausländischer Aktionäre mal eben Tausende Jobs streicht. Zu verdanken haben wir das auch der Generation von Leuten wie Albert Frère oder Etienne Davignon, die konsequent den Ausverkauf der belgischen Wirtschaft betrieben haben. Wegen ihrer "Verdienste für das Vaterland" sind die übrigens in den Adelsstand erhoben worden.
Auch La Libre Belgique hebt diesen Punkt hervor. In den letzten Jahrzehnten hat Belgien sein wirtschaftliches Tafelsilber ein ums andere Mal an ausländische Unternehmen verscherbelt - unter allgemeinem Achselzucken. So mancher mag naiverweise noch stolz darauf gewesen sein, dass sich internationale Konzerne für belgische Betriebe interessierten. Jetzt müssen wir schmerzlich feststellen, dass uns sämtliche Hebel fehlen, um Einfluss auf die Entscheidungen der Konzerne zu nehmen. Ein bisschen wirtschaftlicher Patriotismus wäre wohl wünschenswert.
Die Versuchung mag groß sein, glaubt L'Echo, nach dem Motto also: Wäre die ING noch die BBL, dann wäre die Umstrukturierung wohl längst nicht so brutal ausgefallen. Eine Dosis nationale Abschottung und eine Prise Protektionismus würden aber auf Dauer die Probleme nicht lösen. Was diesem Land vor allem fehlt, sind Unternehmergeist und Risikofreude.
L'Avenir stellt sich jedenfalls auf seiner Titelseite eine bange Frage: "Welche Zukunft haben die Banken noch in Belgien?" Fakt ist, dass alle Banken im Wesentlichen mit den Problemen und Herausforderungen zu kämpfen haben, die ING als Begründung für die drastische Umstrukturierung anführt. ING, das ist womöglich erst der Anfang.
Roger Pint - Bild: Laurie Dieffembacq/Belga