Der Wahlkampf und der vorhergesagte Wahlsieg der flämisch-nationalistischen N-VA sind das Hauptthema der Kommentare in den belgischen Tageszeitungen.
Die Brüsseler Zeitung Le Soir bringt auf mehreren Seiten eine Zusammenfassung einer von ihr gemeinsam mit der flämischen Zeitung De Standaard organisierten Debatte zwischen dem ehemaligen liberalen EU-Kommissar Louis Michel und dem N-VA-Vorsitzenden Bart De Wever. De Wever droht: Wenn die Frankophonen keine Kompromisse akzeptieren, wird es keine Verhandlungen über die Staatsreform geben. Indem sie Nein sagen, werden die Frankophonen alles verlieren. Die Unabhängigkeit Flanderns ist für De Wever eine natürliche Entwicklung innerhalb der europäischen Union. Louis Michel warnt De Wever davor, sich mit seinem Nationalismus zu isolieren. Nach der Debatte meinte Michel, er sehe keine Möglichkeit für eine Einigung mit De Wever.
Het Nieuwsblad erklärt: Wenn alle Kameras auf die N-VA gerichtet sind, verschwinden die anderen aus dem Bildfeld. Man kann den Panzer der N-VA nicht brechen. Wenn man sie angreift - und dafür gibt es Gründe genug - verstärkt das nur die Anziehungskraft von De Wever. Gibt man ihr Recht, gewinnt die N-VA natürlich auch. De Wever ist augenblicklich in der Lage, mehr als 25% der flämischen Stimmen zu erhalten.
De Wever macht sich als Koalitionspartner unmöglich
Het Laatste Nieuws stellt fest: Bis jetzt war De Wever anziehend für die flämischen Radikalen. Er steht ständig im Mittelpunkt, doch auf diese Weise ist er auf dem Weg, sich als potentieller Koalitionspartner auszuschließen. Sollte De Wever am Sonntag 700.000 Stimmen erhalten, geht das Leterme-Szenario wieder los. Die Flamen wollen keine Politiker, die Brandstifter sind und Hass verbreiten. De Wever muss aufpassen. Ein Fehler ist schnell gemacht. Mit jeder Erklärung, die er abgibt, wird die Bildung der nächsten Regierung problematischer. Nach den Wahlen wird eine sehr lange Zeit der Abkühlung notwendig sein.
De Morgen glaubt, dass De Wever jetzt dabei ist, dem Vlaams Belang und der LDD Wähler abzuwerben. Dazu ist das Auslösen von Konflikten mit den Frankophonen die beste Strategie. Jedes Mal, wenn ein frankophoner Politiker De Wevers Forderungen zurückweist, ist das Reklame für De Wever. Man durchblickt auch schon seine Strategie für die Zeit nach den Wahlen. Natürlich hat er nicht die Absicht, redlich zu verhandeln. Er will auch keine normale Regierungsarbeit. Das war nur eine Pose vor den Wahlen.
De Wever: Weltmeister der uneinlösbaren Versprechen
La Libre Belgique schreibt: De Wever vergisst, dass er keinen unabhängigen flämischen Staat ausrufen kann, wenn er nicht mit anderen darüber verhandelt hat. Nicht nur mit anderen flämischen Parteien, die keinen Separatismus wollen, sondern auch mit den Frankophonen. De Wever ist Weltmeister der uneinlösbaren Versprechen.
Die schlechte Wahlkampagne der CD&V
Auf ihrer Titelseite bringt La Libre Belgique die Schlagzeile: „Thyssen-Milquet: nichts geht mehr“. Zwischen den beiden christdemokratischen Parteien gibt es keine Gemeinsamkeiten mehr. Die CD&V hat sich in ihrem Wahlkampf auf die cdH-Vorsitzende Milquet eingeschossen und sie zur Karikatur gemacht.
Gazet Van Antwerpen kritisiert die christdemokratische Wahlkampagne. Die Vorsitzende Thyssen unterschätzt die Wähler. Sie wissen genau, warum sie zu den Urnen gerufen werden. Sie wissen auch, was die N-VA mit dem Land vor hat. Die CD&V versteht offensichtlich nicht, dass die Zeiten vorbei sind, wo der Pfarrer die Bürger von der Kanzel aus warnen konnte, ihre Stimme keinen anderen Parteien als der Christlichen zu geben. Die CD&V ist zu defensiv, um ein gutes Resultat zu erzielen. Thyssen versucht noch, die Leterme-Regierungen zu verteidigen, die nicht zu verteidigen sind.
Finanzmärke und Deutschland entscheiden über belgische Sparpolitik
De Tijd stellt heraus, dass die Investoren nach den Wahlen eine neue Periode politischer Untätigkeit erwarten, durch die die Staatsschuld weiter wächst. Die Lage ist ernst. Gleich welche Partei die Wahlen gewinnt, nach dem 13. Juni müssen der Haushalt saniert und der Staat reformiert werden. Der große Unterschied zu 2007 sind die Finanzmärkte. Die Wähler stimmen nur einmal, die Märkte jeden Tag.
De Standaard notiert: In Deutschland, das wirtschaftlich und finanziell viel besser gestellt ist als Belgien, gibt es seit gestern einen drastischen Sparplan. Deutschland und Merkel setzen die Norm. Wir müssen folgen. Die belgische Staatsschuld beläuft sich auf 100% des BIP. Und darauf muss Belgien 1% mehr Zinsen zahlen als Deutschland. Das ist zum Teil unserer politischen Instabilität zu verdanken.
Bild: belga