Zunächst sollte sich die Föderalregierung mal an die eigene Nase fassen. Statt die ganze Zeit vom "Sozialen Dialog" zu schwadronieren, sollten Charles Michel und sein Team lieber Butter bei die Fische machen und ein konkretes "Friedensangebot" auf den Tisch legen. Zum Beispiel in Sachen Steuergerechtigkeit. Damit nicht bei jedem Regierungsbeschluss der Eindruck entsteht, dass nur der kleine Mann zur Kasse gebeten wird. Bei ihrer Reformagenda sollte die Regierung kurz die Pausen-Taste drücken. Sie muss uns erklären, warum wir länger arbeiten müssen, der Arbeitsmarkt flexibler gestaltet werden muss und wir unsere Wettbewerbsnachteile loswerden müssen.
Die Gewerkschaften dagegen sollten damit aufhören, ihren Mitgliedern nur die halbe Wahrheit zu erzählen und die Regierungspolitik ständig zu verteufeln; ihre Mitglieder regelrecht gegen die Koalition aufzuhetzen. Die Geister, die vor allem die FGTB rief, wird sie jetzt nicht mehr los. Innerhalb kürzester Zeit haben sich einige an der Basis radikalisiert. Schaut man sich den Protest an, hat man den Eindruck bei Daens und Germinal gelandet zu sein - mitten im 19. Jahrhundert. Und offenbar ist inzwischen jedes Mittel erlaubt: einen Polizisten niederschlagen, das Büro des Justizministers kurz und klein schlagen, Gleisanlagen sabotieren, arbeitswillige Kollegen einschüchtern, Stimmzettel verbrennen und eine Puppe, die den Premierminister darstellen soll, öffentlich hinrichten. Schon mal ‘was vom IS gehört, liebe CGSP-Freunde in Mons? Die Aktion war nicht nur dumm. Das Bild, das dort entstand, ist desaströs.
Weil bei den "Roten" in der Wallonie immer mehr linksextreme Kräfte mitmischen, werden Sozialkonflikte zu politischen Konfrontationen. Einige wallonische Gewerkschaftsmitglieder scheinen in den Widerstand eingetreten zu sein - gegen die föderale Besatzerregierung. Nur so lässt sich die Order des neuen CGSP-Chefs Patrick Lebrun erklären: "Streiken bis die Regierung stürzt". Erstens ist das nicht die Aufgabe einer Gewerkschaft. Und zweitens: Was kommt danach? Neuwahlen und die nächste Koalition darf erst antreten, wenn sie von der FGTB abgesegnet wurde - so als neue göttliche Oberinstanz in Belgien?
Dem Fass dem Boden schlagen aber erneut die wallonischen TEC-Busfahrer auf, ebenfalls Abteilung CGSP. Treten in einen unbefristeten Arbeitsausstand, um die Föderalregierung zu stürzen. Dabei ist nicht Brüssel, sondern die Wallonische Region in Namur für sie zuständig. Macht nichts. Hauptsache die Arbeit niederlegen, die Kunden tagelang im Regen stehen lassen, Streikposten aufsetzen, andere Busfahrer drangsalieren und am Dienst hindern.
Übrigens: Besonders wortkarg gibt sich in diesen Tagen die im Süden des Landes regierende PS. Statt lautstark das Ende der wilden Streikaktionen zu fordern, hat man den Eindruck, die Sozialisten tolerierten die ein‘ oder andere Aktion, um der Föderalregierung eins auszuwischen. Auch hier entsteht eine gefährliche Situation: Welcher Investor will künftig noch auch nur einen Cent in die Wallonie stecken? Die Region, in der die Züge nicht fahren, die Busse auch nicht und ständig gestreikt wird? Mal ganz davon zu schweigen, dass die PS mit ihrer passiven Haltung der linksextremen PTB das Feld widerstandslos überlässt.
Ob Gewerkschaften oder Regierung: So kann es nicht mehr weitergehen. Die Vernunft muss wieder einkehren. Und die Verhältnismäßigkeit. Ansonsten droht dieses Land im Chaos zu versinken. Dann geht es nicht mehr nur um ein oder zwei Ausgleichstage. Dann geht es um Tausende Arbeitsplätze. Schluss mit den gegenseitigen Provokationen, den verbalen Attacken und den immer gewaltvolleren Protestaktionen. Raus aus den Schützengräben und ran an den Verhandlungstisch. Viele Belgier haben die Nase voll - ganz besonders von radikalisierten Gewerkschaftern!
Alain Kniebs - Foto: Achim Nelles/BRF
Ein guter Kommentar von ihnen Herr Kniebs.
Besonders das Verhalten der PS haben sie treffend beschrieben; man kommt nicht vom Eindruck los, dass die CGSP und FGTB der militante Arm der PS ist. Jedenfalls geht es so nicht weiter, der Schaden der dem Land zugefügt wird ist immens.