Was für ein tolles Erlebnis: Meine erste Erfahrung mit einer Überwachungskamera. Über drei Jahrzehnte ist das her. Im Kaufhof hingen Monitore, auf denen man plötzlich selber zu sehen war. Diese Bildschirme dienten natürlich nicht der Kinderbespaßung, sondern der Abschreckung. Die eigentliche Botschaft dahinter: Wir haben dich im Auge!
Wenn wir glauben, dass damit nur Langfinger angesprochen werden sollten, dürften wir uns aber täuschen. Der Brüsseler Kaufhausbrand von 1967, bei dem 322 Menschen ums Leben kamen, inspirierte auch die späteren Gründer der Rote-Armee-Fraktion. Kein Jahr später legten Andreas Baader und Gudrun Ensslin mit Hilfe von Zeitzündern Brände in zwei Frankfurter Kaufhäusern. Auch gegen solche Anschläge wollte man sich schützen.
Doch die Zeiten ändern sich. Heute wissen wir, dass Kameras Terroristen nicht grundsätzlich abschrecken, besonders dann nicht, wenn sie ihren Terrorakt wie Al-Qaida oder der IS medienwirksam inszenieren wollen - am besten mit vielen Toten und vielen Bildern.
Vor diesem Hintergrund könnten böse Zungen jetzt behaupten, dass der Kelmiser Kirchplatz und der Galmeiplatz durch Kameras sogar unsicherer werden.
Aber Spaß beiseite. Hier geht es viel mehr um die kleinen Fische, die Toilettenhäuschen und Parkbänke demolieren oder einen Mülleimer anzünden. Ob sich die Kameraüberwachung aber langfristig wirklich lohnt, ist fraglich. Kleine Gauner können da auch von den großen Gaunern lernen. Sprich: Wenn der Fiskus zu begierig schaut, dann bringe ich mein Vermögen halt nach Panama oder in eine andere Steueroase. Wer in Kelmis nicht unbeobachtet stehlen kann, versucht es dann in Hergenrath. Nur die Dümmsten würden sich noch erwischen lassen.
Dass 100-prozentige Sicherheit eine Illusion ist, zeigte sich wieder, als der Nationalflughafen von Zaventem nach den Anschlägen besonders gesichert wurde. Danach war dann die Warteschlange vor dem Flughafen angreifbar. Man hatte das Problem nur verlagert.
Ganz ohne Zweifel helfen Kameras dabei, Delikte und Verbrechen aufzuklären. Uns schon lange bekannte Fallbeispiele sind Übergriffe von meist weißen US-Polizisten, die wehrlose afroamerikanische Mitbürger verprügeln oder gleich erschießen. Aber auch der Mann, der bei der Nationalkundgebung am Dienstag einen Polizeikommissar angegriffen und schwer verletzt hat, ließ sich auch nicht von einer laufenden Fernsehkamera abhalten.
Polizeigewerkschaften kann man nur empfehlen, Überwachungskameras als Allheilmittel in Frage zu stellen. Wie bereits in anderen Berufen, kann die Robo- und Automatisierung der Polizeiarbeit auch eine Sicherheitsbedrohung für den Job darstellen - und nicht nur wenn eigene Fehler dokumentiert werden.
Unter den Opfern des Sicherheitswahns sind vielleicht sogar die Politiker. Die Bürgermeister von Eupen, Raeren, Kelmis und Lontzen wirken gerade weder begeistert noch wirklich überzeugt - und auch nicht überzeugend - wenn es um die Anschaffung der Kameras geht. Das belegen Aussagen wie: "Wenn wir welche bekommen, nehme ich sie, aber ich sehe keine Dringlichkeit." Ihnen geht es erst einmal um die eigene Sicherheit. Frei nach dem Motto: Wenn mal was passiert, dann kann mir keiner vorwerfen, ich wäre als Politiker untätig geblieben. Aber was tut er als nächstes?
Wenn man das Konzept der Kameraüberwachung zu Ende denkt, dann müsste es flächendeckend eingeführt werden. Dann wäre es noch effizienter und gerechter, oder etwa nicht? Als Bürger droht hier eine neue Gefahr, die nicht wirklich neu ist. Immer wieder versuchen Täter, ihre Opfer mitverantwortlich zu machen. Schuld ist dann nicht der Schläger, sondern das blöde Grinsen. Schuld ist nicht der Vergewaltiger, sondern der zu kurze Rock. Schuld ist die Versuchung: "Bei dir ist eingebrochen worden. Selber schuld! Hättest du mal eine Alarmanlage und eine Überwachungskamera wie dein Nachbar installiert!"
Gewinner ist auf jeden Fall die Angstindustrie, die mit unserer Sicherheitsliebe glänzende Geschäfte macht. In diesem Fall sind es die Hersteller von Überwachungskameras. Dabei machen Facebook und Co. den Job doch eigentlich schon längst. Und das sogar mit unserer Hilfe.
Überwachung ist auch nichts Neues. Dazu zählen seit eh und je die neugierigen Nachbarn, die nicht nur hinter den Gardinen beobachten, wie der neue Freund der Nachbarstochter aussieht, sondern auch Verdächtiges der Polizei melden. Bleibt da das Zusammenspiel von wachsamen Bürgern und das plötzliche Erscheinen eines leibhaftigen Polizisten am Ende nicht wirkungsvoller?
Wer nichts zu verbergen hat, muss sich vor einer Kamera nicht fürchten, heißt ein beliebtes Argument der Überwachungsbefürworter. Drehen wir es doch mal um. Wer sich nicht fürchtet, der muss sich nicht hinter einer Kamera verstecken.
Text und Bild: Manuel Zimmermann/BRF