"Kamikaze-Koalition", den Ausdruck hatte man ja fast schon vergessen. "Kamikaze-Koalition", so hatten Beobachter vor etwas mehr als anderthalb Jahren das Regierungsbündnis um den blutjungen Premier Charles Michel liebevoll getauft. "Kamikaze", weil die Konstellation so atypisch, um nicht zu sagen "halsbrecherisch" war: mit einer einzigen Partei auf der frankophonen Seite, der MR, die lediglich rund einen von vier Wählern im südlichen Landesteil repräsentierte.
Dass alle Beteiligten erwiesenermaßen "noch leben" - um im Bild zu bleiben - bedeutet indes nicht, dass die Kassandrarufe von damals falsch oder gegenstandslos gewesen wären.
Zwischenbilanz 19 Monate nach der Einsetzung der Regierung: Die Koalition hat soeben ihre Mehrheit verloren. Das freilich ist "nur" das Ergebnis einer neuen Umfrage, und eine Umfrage ist bekanntlich keine Wahl, sondern allenfalls eine Momentaufnahme.
Und doch dürfte das Politbarometer von Le Soir und Het Laatste Nieuws in den Parteizentralen wie eine Bombe eingeschlagen sein. Grob zusammengefasst: für die N-VA sind die Verluste beträchtlich, für CD&V und OpenVLD geradezu dramatisch, da beide Parteien inzwischen so weit abgesackt sind, dass sie an der Schwelle zum "Keller der Belanglosen" stehen.
Und auch für die MR zeigt die Popularitätskurve nach unten. Damit erodiert auch ihre ohnehin schon dürftige Legitimität nur noch weiter: Laut besagter Umfrage vertritt die MR inzwischen nicht mehr einen von vier, sondern einen von fünf Wählern im frankophonen Landesteil.
Und das rächt sich: Die Gewerkschaften müssen ihre Mitglieder längst nicht mehr davon überzeugen, dass diese Regierung eben nicht "die ihrige" ist. Der MR mangelt es nicht nur an Legitimität, sondern zudem auch an Kontakt zur Basis.
Resultat: Insbesondere im frankophonen Landesteil tobt längst ein Zermürbungskrieg. Neben der ohnehin schon zahlenmäßig "riesigen" politischen Opposition, die vier Fünftel des politischen Spektrums abdeckt, haben sich auch die Gewerkschaften in ihren Stellungen eingegraben. Einige Sektionen, die von dunkelroten Linkspopulisten unterwandert sind, wähnen sich gar schon in so einer Art "Resistance", die erst ruhen wird, bis der Feind besiegt ist. Das jedenfalls erklärt die "Friss-oder-stirb"-Position der Gefängniswärter, nach dem Motto: "Entweder, ihr tut exakt das, was wir wollen, oder der Streik geht weiter - ohne Rücksicht auf Verluste bzw. Menschen".
Das nennt man Fundamentalopposition. Und wenn die Haltung der Gefängniswärter da nur im Ansatz stellvertretend ist für ein allgemeines Klima, wenn das Wort "Kompromiss" am Ende nur noch bedeutet, dass die Regierung bzw. die Arbeitgeber zu hundert Prozent auf die Forderungen der Gewerkschaften eingehen müssen, dann droht eine Komplettblockade. So ist definitiv kein Staat zu machen.
Allerdings: Wer wie Bart De Wever suggeriert, dass hier allein die bösen Sozis und Kommunisten aus der Ferne die Strippen ziehen, der greift zu kurz. Es war die Regierung selbst, die die Gewerkschaften in erheblichem Maße erst in diesen Schützengraben gedrängt hat. Angetrieben von der N-VA, die von den Gewerkschaften so viel hält wie weiland eine gewisse Margaret Thatcher, hat man den Sozialen Dialog ein ums andere Mal ausgehebelt. Und das von Anfang an.
Der größte strategische Fehler war aber, dass die Regierung es nicht geschafft hat, ihre Politik zu verkaufen. Statt einer kreativen, durchdachten, visionären Strategie präsentierte diese Koalition ein ums andere Mal ein Sammelsurium an klassisch liberalen Rezepten, die fast schon blindwütig umgesetzt wurden "Blind" und "wütig", genau diesen Vorwurf hört man ja von den Justizvertretern und auch aus anderen Teilen des Öffentlichen Dienstes.
Klassisch vorhersehbar liberal bis hin zu dem Eindruck, dass der "Kleine Mann" die Last alleine stemmen darf, während man den starken Schultern noch unter die Arme greift. Wenn die Regierung auch bemüht war, das in Teilen durch den Tax-Shift zu korrigieren, das Image der "Bonzen-Regierung" wird sie so schnell nicht mehr los. Verstärkt wurden die Zweifel durch die ewigen Streitereien unter den Parteien, die offensichtlich selber nicht immer an ihre Politik glaubten.
Und wenn Umfragen jetzt den Verdacht zu untermauern scheinen, dass selbst im eigenen Wählerkreis das Vertrauen abbröckelt, dann wird es für die Koalition wirklich eng. Fast die Hälfte der Flamen unterstützt demnach inzwischen die angekündigten Protestaktionen gegen die Politik der Regierung.
Dabei steht die nächste Haushaltskontrolle mit, vermutlich, einer neuen schmerzhaften Sparrunde erst noch bevor. Auch vor diesem Hintergrund schlägt für die Regierung jetzt die Stunde der Wahrheit. Diese Koalition braucht endlich einen wirklichen Plan, einen Plan, an den erstmal alle Partner wirklich glauben, einen Plan, der eben nicht zur Folge hat, dass große Teile der Gesellschaft permanent den Eindruck haben, bestraft zu werden.
Angesichts des unüberhörbaren Brodelns an der Basis sollte diese Koalition eins nicht vergessen: Zu viele Hunde sind des Hasen Tod.
Roger Pint
Tja, so langsam rächt es sich, dass diese Regierung NICHTS, aber auch garnichts für Otto Normalo tut, dagegen ALLES für die Dicken - wie war das noch mit Luxleak, Panama Papers & den hunderten von Millionen die zurückgefordert werden sollten laut EU Kommission? Dafür sind ein ganzer Haufen Arbeitslose noch strenger angefasst worden, dafür müssen Kranke jetzt viel früher als zu ihrer vollständigen Genesung wieder in den Arbeitskreislauf. Es stimmt schon, das der Gefängniswärterstreik irgendwie anrüchtig wirkt, aber gleichzeitig fordern die hohen Magistrate mehr Geld für die Justiz und taufen dieses Land einen "Failed state" "état voyou" & im Endeffekt sind die Gefängniswärter nur ein Teil des Justizwesen, oder?
Diese nationlistisch-neoliberalistische "Regierung" hat ihre Legitimität genauso verloren wie das Merkel-Regime mit seinem (anti-) nationalen Alleingang, dass Deutschland als einzigstes Land in ganz Europa unkontrolliert jeden Asylantragssteller Deutschland ohne jede Integrationsforderungen aufzunehmen habe.
In beiden états voyous ist Zivilcourage insbesondere von den Gewerkschaften gefordert, damit diese Plutokratie abgeschafft wird.
Ach Herr Drecher, welche Regierungsform würden Sie denn bevorzugen?
Am Zustand Belgiens ist doch nicht nur die jetzige Regierung Schuld, sondern auch und besonders eine bestimmte Oppositionspartei und nicht zuletzt die Gewerkschaften der Wallonie.
Was die Regierung Merkel betrifft, sollten Sie sich mal die Integrations Auflagen für Asylantragsteller und Einwanderer in Deutschland ansehen, ehe Sie ein Verdikt aussprechen.
Traurig ist nicht, dass Deutschland Kriegsfluchtlinge aufnimmt, sondern dass sich viele EU Länder nicht daran beteitigen diesen armen Menschen Schutz und Sicherheit zu geben.
Die Gewerkschaften sind Teil des Systems, Herr Drescher, und produzieren außer Streikmaßnahmen nicht genug Gegenwind, um einen Kurswechsel herbeizuführen. Die Gewerkschaften haben eigentlich kein Interesse an einem echten Kurswechsel, denn als Gewerkschaftsfunktionär lebt es sich ganz gut in der "Plutokratie", egal welche Parteien gerade regieren. In jedem Fall kanalisieren und kontrollieren die Gewerkschaften den Unmut der "Arbeiterklasse", was durchaus im Sinne der Regierenden sein dürfte, denn auf diese Weise brauchen sie keinen Sturm auf die Bastille zu fürchten.