Schwein oder nicht Schwein. Im Shakespeare Jahr ist die Debatte auch im beschaulichen Ostbelgien eröffnet worden. Endlich!
Natürlich macht Vivant hier "viel Lärm um nichts" - und nicht nur das. Von Ängsten in der Bevölkerung zu sprechen, ist populistischer Unsinn. Gibt es tatsächlich Menschen in Ostbelgien, die nachts schweißgebadet aufwachen, weil es in der Außerschulischen Betreuung in Grüfflingen kein Schweinefleisch mehr gibt? Wohl kaum. Angst war schon immer ein schlechter Ratgeber, wenn es darum geht, eine vernünftige Entscheidung zu treffen. Deshalb sollte Vivant es auch endlich vermeiden, die Ängste herbei zu reden. Das ist in der Tat populistisch, demagogisch und politisches Kalkül, wie es Minister Antoniadis kritisierte.
Die Debatte hat nämlich mehr verdient. Und wer die Plenarsitzungen im Parlament gelegentlich verfolgt, der weiß, dass dort nur ganz selten was wirklich Interessantes bei herum kommt. Die Debatte muss offen, lösungsorientiert und gesamtgesellschaftlich geführt werden. Und zwar mit allen. Deshalb sollte es Minister Antoniadis auch vermeiden, sie mit seiner "Drei Scheiben Wurst"-Argumentation abzuwürgen. Und sein "Rumgeeiere" um die unter anderem mal gesundheitlichen, dann vielleicht doch auch religiösen Gründe hat die Polemik überhaupt erst aufkommen lassen.
Nach eigenen Aussagen ist er für den Speiseplan nicht zuständig. Stimmt. Wofür er zuständig ist, ist die Politik so zu gestalten, dass die Freiheiten aller geschützt werden. Und da sollte er schnellstens aktiv werden. Natürlich beginnt mit der Wahl des Brotbelags in der Außerschulischen Betreuung nicht die von vielen so gern herbei beschworene Islamisierung des Abendlandes. Was dort beginnen könnte, wäre eben genau diese gesamtgesellschaftliche Debatte darüber, wie wir uns in einer multikulturellen Gesellschaft zurecht finden sollen.
Multikulti ist nun mal kein feuchter Traum von rückständigen linken Weltverbesserern mehr, sondern schlicht und ergreifend Realität. Aber nicht nur, weil meine Nachbarn jetzt Günay und Hakan heißen, anstatt Gaby und Heinz, sondern weil es mittlerweile unzählige Weltanschauungen und Lebensformen gibt. Ob Fleischliebhaber oder Veganer, ob Sportmuffel oder Marathonläufer, ob homo-, trans-, bi oder heterosexuell, ob feinsinniger Vernissagegänger oder rumprollender Fußballfan, ob als praktizierender Muslim, sorgloser Atheist, oder als "Nur an zwei Tagen im Jahr"-Katholik. Jeder sollte nach seiner Fasson glücklich werden dürfen. Dafür braucht es aber Angebote - nebeneinander.
Man darf dem RZKB nicht gleich unterstellen, dass es der Islamisierung im vorauseilenden Gehorsam schon den Gebetsteppich ausrollt. Die Philosophie, die hinter dem Verzicht auf Schweinefleisch an einigen Standorten steht, ist eine zutiefst humanitäre, von der sich alle gerne eine Scheibe Schinkenwurst abschneiden dürfen. Auch die rein praktischen Gründe spielen wohl eine Rolle. Aber man sollte trotzdem die Frage stellen, ob gut gemeint auch gut gemacht ist.
Auch der gläubigste Muslim muss lernen, dass Schweinefleisch auf den Tisch kommen kann und darf. Das bedeutet nämlich auch Integration. Aus einem Ihr da und Wir hier muss ein gemeinsames Wir werden.
Und da hat Vivant Recht: Was machen wir, wenn morgen der Vegetarier kommt, nächste Woche derjenige mit Laktoseintoleranz oder Glutenallergie und am Ende der Veganer. Da kann man sich nämlich nur noch verzetteln. Wir müssen alle dafür sorgen, dass wir eine liberale, eine freie Gesellschaft werden. Das ist schwer, aber möglich. Ein offenes Zusammenleben, für alle, die sich an unseren kleinsten gemeinsamen Nenner, sprich unsere Verfassung halten.
Alle Weltanschauungen, ob Religion, Fußballverein oder Ernährung haben eines gemeinsam. Sie bedeuten immer auch Abgrenzung. Das ist an sich nicht schlimm. Gefährlich wird es aber, wenn diese Abgrenzung missbraucht wird. Und das passiert zu oft - weltweit. Vorsicht vor allem Fremden ist angeboren, aber man kann es sich auch abtrainieren. Während die Eröffnung der ersten Halal-Metzgerei in Eupen noch tagelang im Internet kommentiert wurde, kräht da in anderen Städten schon lange kein Hahn mehr nach.
Die Gräben in Ostbelgien sind noch nicht so tief und unüberwindbar wie beispielsweise im Nahen Osten. Werfen wir die Polemik also über Bord und machen Platz für eine echte Debatte. Und zwar gemeinsam mit allen. Ein Fleischverbot sollte es trotzdem geben. Und zwar für das Fleisch aus Massentierhaltung. Damit wäre dann für einmal auch den Tieren geholfen.
Volker Krings - Bild: Achim Nelles/BRF
Also wenn schon Fleischverbot aus Massentierhaltung, dann bitte auch gleich Informationsverbot aus Massenmedien.
Respekt . Top Kommentar.
Herr Krings geht mit Polemik gegen Polemik vor, mit einem "ich- weiß- es- besser" gegen "wir- wissen- es- besser". Die Quintessenz ist dann ein Verbot für Fleisch aus Massentierhaltung. Aha! Endstand nach dem Durchlesen: Null zu Null.
Da bin ich ganz ihrer Meinung: ein Informationsverbot aus Massenmedien, wie dem Internet!
Solange Menschen ihre "Informationen" lieber aus irgendwelchen dubiosen Websites beziehen (und damit meine ich nicht brf.be!), anstatt aus Medien (wie dem BRF!), die Rechenschaft ablegen und ihre journalistischen Qualitäten unter Beweis stellen, kann man sich auch nicht erhoffen, seriöse und verlässliche Informationen zu erhalten.
Wenn dann auch noch eine kritische Betrachtungsfähigkeit gegenüber diesen gewissen Internetmedien fehlt, dann muss man sich nicht wundern, dass jeder Hein Blöd brav den Vivant/AfD-Babybrei schluckt. Ohne Schinkenwurst.
Zählt LE SOIR ebenfalls zu den "Luftikus-Medien"? Denn gerade meldet Le Soir - also nicht gerade die belgische Bild -, daß sich ein Daesh-Kämpfer, der zugegeben hat, einen "Häretiker" in Syrien geköpft zu haben, und dafür verurteilt in Belgien wurde, zur Zeit in Brüssel... frei aufhält! Wie kann man diesen Staat ernst nehmen?