"L'Union fait la Force", "Einigkeit macht stark". Von wegen! Pustekuchen! Nonsens! Nicht ohne Grund hatten praktizierende Surrealisten das Landesmotto flugs schon umgetauft in "L'Union fait la Farce". Denn, ja, die letzten Wochen waren - bei aller Tragik - eine einzige Farce, geprägt von einem oftmals würdelosen Schmierentheater... In einer der Hauptrollen: die Politik, oder sollte man sagen, ein "bedeutender Teil" der politischen Klasse.
Erst die Beinahe-Rücktritte der beiden Minister für Inneres und Justiz, Jambon und Geens. So richtig deuten kann man diese Episode immer noch nicht. Fakt ist, dass die Meldung ausgerechnet in dem Moment die Runde machte, wo sich gerade das ganze Land vor den Opfern der Anschläge verneigen wollte: Besser kann man eine Zeremonie nicht verhageln, die doch eigentlich Würde und Andacht ausstrahlen sollte.
Und es ist, als hätte ein "bedeutender Teil" des Brüsseler Politikbetriebs das als eine Art Einladung verstanden. Als Hooligans wie eine Büffelherde über den Blumenteppich an der Börse galoppiert waren, glaubte der Brüsseler Bürgermeister Mayeur, das zum Anlass nehmen zu müssen, um seine Rechnungen mit der N-VA zu begleichen. Und bei der Gelegenheit gab sich der PS-Politiker dann von seiner nuancierten und feinsinnigen Seite, als er erklärte, dass Flandern mit seinen Extremisten Brüssel besudelt habe. Immerhin hat sich Mayeur später für diese Aussage entschuldigt...
Aber, wie man dann schon bei groben Verallgemeinerungen war, da konnte sich die N-VA auch nicht lumpen lassen. Diesmal übernahm Innenminister Jambon den Part des Bösewichts. "Ein 'bedeutender Teil' der muslimischen Gemeinschaft habe nach den Anschlägen getanzt", tönte er in bester Haudrauf-Manier.
Diese Polemik ist so billig, und sie folgt noch dazu einer so durchsichtigen Strategie, dass man eigentlich keinen Gedanken daran verschwenden dürfte. Jambon hatte wohl das "Handbuch des kleinen Populisten" gelesen: Erst jammert man, dass man "falsch verstanden" wurde, dann nuanciert man ein klein bisschen seinen Standpunkt, etc., etc., - wohlwissend, dass man sein Ziel ohnehin längst erreicht hat. Die Botschaft ist bei denen, die es hören wollen, angekommen, nach dem Motto: "Endlich einer, der die Wahrheit sagt". Dass sich diese angebliche "Wahrheit" dann nicht belegen lässt, und der Innenminister auch im Parlament den Beweis schuldig bleibt - da war die Karawane doch schon wieder weitergezogen...
Jambon wusste ja ohnehin von vornherein, dass er nicht um sein Amt fürchten musste: Premier Michel hatte seinem Innenminister ja schon das Vertrauen ausgesprochen. Außerdem hatte der zugegebenermaßen manchmal bedauernswerte Michel ja gerade genug vor der eigenen Haustüre zu kehren. Denn, wenn es auch nicht unmittelbar mit den Anschlägen zu tun hatte, aber seine Parteikollegin und Pannenministerin Galant, war ja auch zur Stelle, um sich pünktlich in dieser heiklen politischen Phase mal wieder in innere Widersprüche zu verheddern. Diesmal ist sie auf dem Parkett ausgerutscht, das von Anfang an viel zu glatt für sie war.
Vier Tage zuvor war mit Joëlle Milquet noch ein ganz anderes Kaliber über eine alte Geschichte gestolpert. So statthaft ihr Umgang mit der Geschichte - es gilt wohlgemerkt die Unschuldsvermutung - so gnadenlos ungeschickt verlief dann aber die Regelung ihrer Nachfolge: Eine Ministerin wurde durch zwei ersetzt, um damit ganz nebenbei die Zahl der frankophonen Minister auf 14 hochzutreiben, da wo den Flamen neun reichen. Glaubt die CDH, dass man das der Öffentlichkeit heute noch "mal eben so" verkaufen kann? Und wenn man hundert Mal beteuert, dass das Ganze unterm Strich keinen Cent mehr kosten wird: Man produziert damit nur Kopfschütteln...
"Kopfschütteln", das ist das Wort der Stunde. Kopfschütteln über die Feststellung, dass die belgische Politik selbst in diesen Krisenzeiten ihre altbekannten Spielchen munter weiterspielt - als wäre nichts gewesen. Kopfschütteln darüber, dass die verschiedenen Machtebenen selbst in dem Moment, wo eben "Einigkeit" gefragt wäre, dem jeweils anderen immer noch nicht das Schwarze unter den Fingernägeln gönnen. Das Kompetenzgerangel und die gegenseitigen Schuldzuweisungen zwischen dem Föderalstaat und der Region bzw. der Stadt Brüssel waren zeitweise an Peinlichkeit kaum zu überbieten.
Insofern - muss man sagen - haben die Fluglotsen mit ihrer fehlgeschossenen Protestaktion zum völlig falschen Zeitpunkt eigentlich nur das gemacht, was die Politik vorgelebt hat...
Belgien verspielt gerade seine Glaubwürdigkeit nicht nur nach außen hin, sondern auch bei seinen eigenen Bürgern. Wohl selten war ein "bedeutender Teil" der politischen Klasse mit seinen Wirrungen und Winkelzügen so weit entfernt von der gelebten Realität und den Nöten des Landes, seiner Wirtschaft, seiner Bürger. Nicht umsonst schrieb schon die Zeitung Le Soir: "Dieses Land ist sein schlimmster Feind".
Roger Pint - Bild: Achim Nelles/BRF
Ob Ministerpräsident Paasch jetzt auch dem BRF die Leviten ließt ?
Der Kommentar von Roger Pint unterscheidet sich in seinem Fazit nicht wirklich von dem "Belgien-Bashing" der gescholtenen ausländischen Medien.
In Zeiten großer Krisen zeigen auch die Repräsentaten des Landes ihr wahres Gesicht. Da hilft dann kein Gejammer über die "Lügenpresse", wenn das von diesem Land gezeichnete Bild sowohl von innen als auch von außen mittlerweile die gleichen Züge trägt.
Ja, "dieses Land ist sein schlimmster Feind" und ein "signifikanter Teil" seiner Politiker sein Totengräber. Nicht die Presse, Herr Ministerpräsident.
Guter Kommentar. Beschreibt die politische Lage, die immer mehr der einer Bananenrepublik gleicht, mehr als zutreffend. Wie realitätsfern Politik geworden ist, sieht man u.a. an der Tatsache, das man eine Ministerin durch zwei ersetzt hat. Das kann man nun wirklich keinem vernünftigen Menschen mehr nahe bringen. Daher kann man nur schlussfolgern : déconnecté de la réalité !
(AdR: Beim Kommentarschreiber handelt es sich nicht um Marcel Scholzen aus Losheimergraben.)