Manchmal erlebt man sonderbare Zeitreisen. Zugegeben, der Begriff "belgitude" klingt angestaubt. Oder leicht romantisch: Hergé, Weltausstellung, frühere und heutige Rote Teufel.
Aber ", Bezirkskommissare", führen uns noch weiter zurück. In eine "belgitude" älterer Herren mit Zylinderhut, streikender Grubenarbeiter und chargierender Gendarmen. Der Manchester-Kapitalismus blüht, Arbeiter, Hofknechte und Großbauern prägen das Land.
Und was stellt man fest? Viele Köpfe in den Rathäusern des noch jungen Königreichs haben Schreib-und Leseschwächen. Das verstärkt sich noch, als das alleinige Wahlrecht der Reichen aufgebrochen wird. Verständlich, der geordnete Schulbetrieb kommt erst später.
Noch ist die Gliederung des Königreichs einfach und linear: ein König und sein Innenminister an der Spitze, neun Gouverneure, und, pour le bon peuple, als Basis die Bürgermeister. Es muss jemand her, den Gouverneuren zu assistieren, und gewissen Kollegien von Bürgermeistern und Schöffen, und dies nicht nur für den Schriftverkehr: geboren waren die Kommissare.
Und später wurden auch Kommissare für heikle Landstriche eingesetzt, wie etwa Neubelgien mit vielleicht unsicheren Kantonisten. Und jetzt soll es einen neuen geben, zudem ohne Auflage, der deutschen Sprache mächtig zu sein? Das, meine Damen und Herren, wäre gleich doppelt anachronistisch.
Frederik Schunck - Foto: Achim Nelles/BRF
Eine sehr interessante Analyse Herr Schunck! Kann für die weitere Argumentation gegenüber der WR durchaus hilfreich sein...
Nicht nur der beigeordnete Bezirkskommissar in Malmedy ist ein Anachronismus, der Bezirk selbst ist es - und das schon seit einem halben Jahrhundert, nämlich seit Bestehen der Sprachgebiete und (in deren Folge) der Gemeinschaften.
Sehr geehrter Herr Velz,
In Belgien gibt es soviele Anachronismen. Es sind die Bezirke und deren Komminsare, die Provinzen, usw. Und die werden wahrscheinlich auch so schnell nicht verschwinden. Denn die damit verbundenen Pöstchen werden gebraucht, um verdiente oder auch in Ungnade gefallene Politiker bequem los zu werden, damit die niemanden mehr gefährlich werden.
(AdR: Beim Kommentarschreiber handelt es sich nicht um Marcel Scholzen aus Losheimergraben.)