Wir Brüsseler sind so einiges gewohnt. Wegen der vielen Gipfel von EU und NATO werden bei uns öfter mal Straßen gesperrt, U-Bahn-Haltestellen geschlossen oder Busse umgeleitet. Eigentlich sind wir Meister im Improvisieren. Die höchste Terrorwarnstufe vier, die haben wir so aber auch noch nicht mitgemacht. Schwerbewaffnete Polizisten an jeder Ecke. Soldaten in Tarnkleidung und mit Maschinenpistole im Anschlag. Sämtliche Veranstaltungen gestrichen. Die Innenstadt im Belagerungszustand.
Mit etwas Abstand fragen sich inzwischen immer mehr Menschen: War das vielleicht ein bisschen zu viel des Guten? Ist die Gefahr übertrieben worden? Schwer zu sagen. In diesen Tagen möchte ich jedenfalls nicht mit politisch Verantwortlichen tauschen müssen. Wir Bürger haben es leicht, die Sicherheitsmaßnahmen zu kritisieren. Seien wir aber ehrlich: Wenn in den vergangenen Tagen etwas passiert wäre, wären wir Bürger die Ersten gewesen, die der Regierung Untätigkeit vorgeworfen hätten. Frei nach dem Motto: "Warum habt ihr nicht …?" Und: "Wie konntet ihr nur …!"
Natürlich hat die Politik nicht alles richtig gemacht. Bei Weitem nicht. Das Krisenmanagement hat zeitweise zu wünschen übrig gelassen. Zugegeben: Die Lage ist kompliziert. Sogar sehr kompliziert. Um die Ermittlungen nicht zu gefährden und den potenziellen Terroristen nicht zu viel zu verraten, musste Premierminister Charles Michel uns die wichtigsten Informationen vorenthalten. Die Informationen nämlich, die uns erlaubt hätten, das Hin- und Her der letzten Tage nachzuvollziehen.
Hätten sich bloß mal alle Regierungsmitglieder – und zwar jeder Couleur – daran gehalten. Da erzählt der Außenminister einem amerikanischen Fernsehsender, dass möglicherweise bis zu zehn bewaffnete Terroristen gesucht werden. Die Bildungsministerin der Französischen Gemeinschaft fordert den Bau von Bunkern in Brüsseler Schulen. Und die Gesundheitsministerin warnt davor, dass Terroristen sich als Rettungskräfte tarnen könnten.
Und die Bevölkerung soll keine Panik schieben … wohlwissend, dass der in Molenbeek wohnhafte Paris-Attentäter Salah Abdeslam und seine Helfershelfer weiter auf freiem Fuß sind. Vom desaströsen Belgien- und Brüssel-Bild im Ausland mal ganz zu schweigen. Wenigstens in Krisenzeiten sollte die Politik an einem Strang ziehen. Da lobe ich mir doch die Brüsseler. Panik war hier kaum zu spüren. Das Leben geht weiter – zwischen Polizisten, Soldaten und gepanzerten Fahrzeugen.
Übrigens: Auch die Deutschsprachige Gemeinschaft sollte ihre Krisenkommunikation überdenken. Am 15. November, kurz nach den Anschlägen in Paris, erklärt uns Ministerpräsident Oliver Paasch im BRF-Interview, völlig zu Recht, dass wir unseren Werten treu bleiben müssen. Weiterleben müssen wie bisher. Damit die Terroristen keinen Sieg davon tragen. Nur sieben Tage später ordnet er an, die ostbelgische Vertretung in Brüssel zu schließen. Außerdem sollten die Mitarbeiter der Eupener Kabinette und Ministerien von Fahrten in die Hauptstadt absehen, solange die maximale Terrorwarnstufe gilt. Verstehe, wer will.
Wir werden im Alltag wachsamer und vorsichtiger sein als früher. Auch wenn uns das überhaupt nicht gefällt und wir alles tun sollten, um das zu verhindern. Martin Schulz hat Recht, wenn er sagt: "Terror gehört zu den Lebensrisiken des 21. Jahrhunderts."
Alain Kniebs