Wir sind geschockt und traurig, verwirrt und wütend. Zu Recht. Denn die Massaker von Paris sind abscheulich und menschenunwürdig!
Doch Vorsicht vor blindem Hass: Bringen die Flüchtlinge den Krieg zu uns? Nein! Für solch eine organisierte Barbarei braucht es Kraft, Struktur und Netzwerke. Das ist das Werk von Fanatikern. Jene Menschen die fliehen, wollen gerade diesem Irrsinn entkommen.
Manchmal denke ich, dass dieser Wahnsinn nur eine Frage der Zeit war. Durch die Arbeit von Generationen ist unser Wohlstand gewachsen. Sind wir tatsächlich davon ausgegangen, dass "der Rest der Welt" die alte Ordnung aus Kolonialzeiten weiter hinnimmt? Wer Globalisierung sagt, muss sie als Ganzes nehmen und kann sie nicht nur einseitig leben. Ein gutes Beispiel ist der faire Handel, der es Menschen ermöglicht, tatsächlich von ihrer Arbeit zu leben. Doch wir alle wollen alles billig haben. Unsere Waffenindustrie braucht Absatzmärkte und an Afrika interessieren uns eigentlich nur die Bodenschätze. Die Rechnung zahlt dann "der Rest der Welt".
Wer hier die Gewinner sind, haben die Verlierer längst verstanden. Die Schere zwischen Arm und Reich klafft weiter auseinander. Hinzu kommen seit 2001 nahezu zwei Millionen Menschen, die im "Kampf gegen den Terror" im Irak, in Afghanistan und Syrien gestorben sind - die Völkerflucht musste kommen.
Erinnern wir uns: Hass, Gewalt und Fanatismus gedeihen dort am besten, wo Armut herrscht. Und Religion war schon immer ein politisch schlechter Ratgeber. Das alles ist aber Alltag im Nahen Osten, in Syrien, in weiten Teilen Afrikas, auf dem Kaukasus und und und... Überall dort sind Extremisten zuhause. Und sie sind es, die nun ihren Teil des Wohlstandes einfordern.
Die Attentate sollen von Syrien aus gesteuert worden sein. Von dort aus kommandiert Daesch, der Islamische Staat, seine barbarischen Handlanger. Daesch rekrutiert junge Menschen in unseren Städten. Die Täter von Paris sollen aus Molenbeek stammen. Dabei ist der Brüsseler Stadtteil ein Beispiel dafür, wie schlecht uns die Integration in den letzten beiden Jahrzehnten gelungen ist. In diesen muslimischen Ghettos - von denen es so viele in Europa gibt - herrschen Armut und Perspektivlosigkeit - oft in der zweiten und dritten Generation, beste Bedingungen also für Radikale.
Es geht nicht darum, immer nur uns selbst auf die Finger zu klopfen und die Politik an den Pranger zu stellen. Und doch: Bei uns haben wir es versäumt, die Integration mit Nachdruck einzufordern. Ein Fehler, der uns gerade jetzt - angesichts der vielen Flüchtlinge - nicht noch einmal passieren darf. Ja, diese Menschen sind da und suchen Schutz. Und ja: Wir fühlen uns oft überfordert und haben selbst Angst. Und ja: Es wird lange dauern, bis hier so etwas wie Lebensalltag entstehen kann. Doch wir haben jetzt die Möglichkeit, diesen Prozess aktiv zu begleiten und klar zu machen: Wer zu uns kommt, teilt unsere Werte. Nur wer sich bei uns integriert, sich fortbildet und hart arbeitet, hat eine echte Chance auf ein besseres Leben.
Nach dem Terror von Paris fordern viele die Schließung der Grenzen, klatschen radikalen Ansichten Beifall und schaufeln so - ohne es vielleicht wirklich zu merken - unserem Lebensstil sein eigenes Grab. Wenn wir weiter in Frieden und Freiheit leben wollen, um unbeschwert arbeiten, lieben und feiern zu können, dann gilt es jetzt mehr denn je zusammenzurücken.
Sind europäische Bomben die richtige Antwort auf Wahnsinn und Barbarei? Oder lassen wir damit nur noch mehr Hass aufkeimen?
Die Barbarei ist bei uns angekommen. Natürlich müssen Politik und Polizei jetzt handeln. Vergessen wir aber nicht die nobelsten Tugenden einer Zivilgesellschaft: Friedfertigkeit und Verantwortung. Denn es gibt nicht nur die eine Wahrheit.
Simonne Doepgen - Bild: Achim Nelles/BRF