"Wer glaubt diesen Menschen noch?". Mit diesem Slogan fegte Yves Leterme 2007 Guy Verhofstadt aus dem Amt, nachdem der blaue Papst den Leuten zu lange das Blaue vom Himmel versprochen hatte. "Wer glaubt diesen Menschen noch?". Dieser Satz kann eine entwaffnende, geradezu zerstörerische Wirkung haben, und zwar ab dem Moment, wo er den Bürgern aus der Seele spricht. Kleine Klammer, aber genau diese Wucht hat später auch Yves Leterme selbst zu spüren bekommen.
Vertrauen, das ist eben die wichtigste Währung, nicht nur an den Finanzmärkten, nicht nur für ein börsennotiertes Unternehmen, das trifft auch auf eine Regierung zu. Fehlt das Vertrauen, dann sinkt der Aktienkurs, buchstäblich, beziehungsweise im übertragenen Sinne. Insbesondere die Liberalen sollten das eigentlich wissen, sie, die sich doch damit brüsten, die Wirtschaftswelt besonders gut zu kennen.
Nun, sagen wir mal so: Wenn eine Bank einen derartigen Schleuderkurs hinlegen würde, wie ihn die liberale Ministerriege da derzeit auf der föderalen Bühne aufs Parkett legt, die ersten Kunden würden wohl schon ihr Geld in Panik abheben.
Sichtbarster Problemfall: Mobilitätsministerin Jacqueline Galant. Dass die - aufgrund ihres augenscheinlich gestörten Verhältnisses zu Ziffern und Zahlen - nicht unbedingt morgen bei einer Bank anfangen dürfte, ist eine Sache. Den Zahlensalat zu Beginn ihrer Amtszeit konnte man ja noch unter "Schonzeit" abbuchen. Bei der "Anwalt-Affäre" sieht das anders aus. Da hat sich die MR-Politikerin offensichtlich hart an der Grenze der Legalität bewegt. Für die Opposition war diese Grenze gar überschritten. Dass an den Vorwürfen was dran ist, das zeigt allein die Tatsache, dass selbst der Premier einräumen musste, dass die Sache falsch gelaufen ist. "Unvorsichtig", nannte er seine Parteifreundin. Die Zukunft wird zeigen, ob es nicht von seiner Seite "unvorsichtig" war, noch an Frau Galant festzuhalten. Zumal da in der Presse schon von einer neuen Panne die Rede ist. "Ganz knapp" sei es in jedem Fall gewesen, sind sich Beobachter einig. Die Zeitung La Libre Belgique ist sich sicher, dass Galant nur deshalb noch im Amt ist, weil sich die Flamen nicht für die Akte interessiert haben. Aber, Vorsicht: Aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Es wird der Tag kommen, da reibt die N-VA den Liberalen unter anderem diese Geschichte unter die Nase, nach dem Motto: Die einzigen, die in dieser Regierung wirklich negativ aufgefallen sind, das waren die Frankophonen.
Zumal auch viele der übrigen MR-Minister bislang nicht unbedingt durch übertriebene Treffsicherheit geglänzt haben. Beispiele: Willy Borsus, Minister für Landwirtschaft und Mittelklasse: Weitgehend unsichtbar. Hervé Jamar: Als stolpernder Haushaltsminister ausgetauscht. Dessen Nachfolgerin Sophie Wilmès: gerade in dieser Woche nach einem naiven Kommunikationsfehler vom N-VA-Finanzminister Johan Van Overtveld ziemlich klar zurückgepfiffen.
Und dann ist da noch Energieministerin Marie-Christine Marghem. Auch die wurde schon einige Male von der Opposition beschuldigt, es dem Parlament gegenüber mit der Wahrheit nicht immer so genau zu nehmen. Jüngstes Beispiel auch wieder in dieser Woche: Marghem verteidigte noch im Ausschuss das Klimaabkommen mit den Regionen, als sie eigentlich schon wissen musste, dass die EU Teile der Berechnungsgrundlage nicht akzeptieren würde. Und, nachdem Premier Charles Michel schon Jacqueline Galant besagte "Unvorsichtigkeit" attestieren musste, war er dann auch noch gezwungen, Marie-Christine Marghem auf die Finger zu klopfen.
Um es mal in der Sprache der MR zu sagen: "Cela commence à faire beaucoup".
Denn apropos: in der frankophonen Presse wächst das Unbehagen angesichts der Irrungen und Wirrungen der MR-Exzellenzen. Wohl zu Recht; die flämischen Minister-Kollegen wirken da nämlich fast schon wie der Gegenentwurf. Selbst die von den Frankophonen so oft gegeißelten N-VA-Minister haben bislang, zumindest wenn man die reine Amtsführung betrachtet, einen weitgehend fehlerfreien Parcours hingelegt.
Mit der Affäre um Jacqueline Galant wurde jedenfalls in dieser Woche ein trauriger Höhepunkt erreicht. Das strahlt zwangsläufig auch auf den MR-Premierminister Charles Michel ab. Mehr noch: Damit wird letztlich auch wieder die Glaubwürdigkeit der Regierung beschädigt und der Politik in ihrer Gesamtheit.
Roger Pint