"Zurück in die Zukunft". In dem Film von 1985 reisen der junge Marty McFly und Doc Brown mit einer Zeitmaschine 30 Jahre in die Zukunft. Und diese Zukunft, das war in dieser Woche: unsere Gegenwart. Die beiden landen nämlich im Jahr 2015, am 21. Oktober. Wie man sich vor 30 Jahren die Zukunft vorstellte, und was davon eingetroffen ist: Am Mittwoch gab es den Wirklichkeits-Check ...
An eine Zeitmaschine konnte man in dieser Woche auch denken, auch ohne den Film im Hinterkopf zu haben. Die FGTB hat nämlich einmal mehr bewiesen, wie rückwärtsgewandt sie sein kann.
Man wird jedenfalls das Gefühl nicht los, dass die sozialistische Gewerkschaft in Denkschemen funktioniert, die in einer anderen Zeit angesiedelt sind. Zum Beispiel als der Regionalsekretär der FGTB-Sektion Lüttich-Huy-Waremme am Montag versuchte, die Straßensperren und die dabei entstandenen Schäden zu rechtfertigen. Das sei ein Ausdruck der Wut gewesen, wie es sie auch schon früher gegeben habe, etwa bei der Schließung der Minen, beim Ende der Schwerindustrie oder bei einer ganzen Reihe von sozialen Revolutionen.
Wie bitte? "Soziale Revolutionen"?
Natürlich gibt es den Indexsprung. Natürlich gibt es Sparmaßnahmen in vielen Bereichen. Natürlich wurde das Rentenalter erhöht. Natürlich wird man den Eindruck nicht los, dass die Kleinen blechen dürfen, während die Großen ungeschoren bleiben. Aber: eine Revolution? Was sollen denn da die Griechen sagen, wo man etwa Gehälter und Renten in erheblichem Maße zusammengestrichen hat? Zumal, bezeichnend war doch, dass dieser Eindruck –zumindest am Montag- noch nicht mal von den anderen Gewerkschaften geteilt wurde.
Hier zeigt sich ein grundlegendes Problem, das –zumindest in einigen FGTB-Sektionen- ganz klar zu beobachten ist. Hier herrscht in Teilen eine systemfeindliche Stimmung.
Nur zur Verdeutlichung: Natürlich ist Systemkritik erlaubt, mehr noch, sie ist sogar zweifelsohne legitim angesichts der offensichtlichen Auswüchse des Kapitalismus. Natürlich darf man sich fragen, inwieweit die soziale Marktwirtschaft noch das Adjektiv "sozial" verdient. Und in unserer Demokratie sind auch revolutionäre Phantasien immer noch gestattet. Aber: Eine Gewerkschaft wäre gut beraten, mit etwaigen "revolutionären" Wunschträumen hinterm Berg zu halten, auf die Gefahr hin, dass man sich als Gesprächspartner ansonsten selbst ins Abseits stellt. Denn: Wie soll man zusammen ein System zukunftsfähig machen, wenn einer der Gesprächspartner eben dieses System am liebsten stürzen würde und sich schon wieder im Klassenkampf wähnt.
Aber apropos "Abseits", genau dahin hat sich die FGTB ohnehin gerade katapultiert. Eben, weil gewisse ihrer Mitglieder immer wieder Revolution spielen wollen, erreicht die Botschaft die breite Öffentlichkeit nicht mehr. Konkret: Die angewandten Mittel stehen einfach nicht im Verhältnis zum Problem. Ein Indexsprung etwa ist zwar ohne Zweifel eine Beschneidung der Kaufkraft. Aber, erstens: Es wird dadurch jetzt auch niemand ins bodenlose Unglück gestürzt. Und zweitens: Dass die Lohnkosten in Belgien zu hoch sind, das ist eine Tatsache, das wussten im Übrigen auch die Sozialisten. Auch sie haben die Löhne gedeckelt, indem sie unter anderem den Index künstlich niedrig gehalten haben. Das Ganze hieß dann eben nur nicht "Indexsprung", das Resultat war aber das gleiche.
Wenn die FGTB also am Montag zum wiederholten Mal alles plattgelegt, sogar die Autobahn blockiert hat, dann kann sie damit nur auf Unverständnis stoßen. Und zwischen Klammern: Je mehr sich die Gewerkschaften in der Öffentlichkeit unbeliebt machen, desto roter ist der Teppich für jeden, der den Nagel noch weiter einschlagen will. Nicht umsonst schrieb schon die Zeitung Le Soir: "Charles Michel sagt: Danke FGTB!".
Die Gewerkschaften, und im Besonderen die sozialistische, müssen die Zeichen der Zeit erkennen. Denn: Wenn man auch über die möglichen Auswege aus der Krise leidenschaftlich streiten kann, eine Grundfeststellung sollte doch von allen geteilt werden: So wie bisher, so kann es nicht weitergehen. Die Vergreisung der Bevölkerung, die Tatsache, dass wir unseren Wohlstand in den letzten Jahrzehnten auf Pump finanziert haben, all das sind doch keine neoliberalen Erfindungen, es ist die Ausgangslage im Hier und Jetzt. Und in diesem Zusammenhang brauchen wir Gewerkschaften, die an der Zukunft arbeiten, um diese in "soziale Bahnen" zu lenken, die sich jedenfalls nicht an die Vergangenheit klammern.
Zurück in die Zukunft, das kann nicht der Weg sein ...
Roger Pint - Foto: BRF
Ein grundlegendes Problem der Gewerkschaften ist deren undemokratische Struktur. Im Gegensatz zu anderen Vereinen und Vereinigungen gibt es keine Generalversammlung, wo die Mitglieder oder deren gewählte Vertreter mitbestimmen können. Man kann daher eher von "Kunden" als von "Mitgliedern" reden. Die Gewerkschaftsoberen sind also keiner Generalversammlung, wie es eigentlich sein sollte, gegenüber rechenschaftspflichtig. Das verleitet natürlich zu unüberlegtem Handeln und zu selbstherrlichen Entscheidungen.
(AdR: Beim Kommentarschreiber handelt es sich nicht um Marcel Scholzen aus Losheimergraben.)
Sehr guter Artikel !
Jawohl Herr Scholzen! Lese jetzt erst Ihren Artikel, stimme voll und ganz zu!