Dass Belgien das Land der Festivals ist, wissen wir Belgier schon lange. 2010 hat es aber auch der Rest der Welt schriftlich bekommen. Bei der Vergabe der ersten europäischen Festival-Preise hat Belgien die begehrten Trophäen in allen wichtigen Kategorien eingeheimst. Seitdem sind die belgischen Festivals bei jeder Preisvergabe ganz vorne dabei. Kein Wunder: Hierzulande gibt es so viele Musikveranstaltungen wie sonst nirgends. Von riesengroß bis winzig. So gut wie jede Kleinstadt kann im Sommer mit ihrem eigenen Festival aufwarten.
Rock Werchter spielt seit Jahren in der Liga der ganz, ganz Großen mit – zählt neben Glastonbury, Roskilde und Sziget zur Top vier in Europa. Das Tomorrowland. Die Pilgerstätte der Dance-Musik, zu der die besten DJs und Abertausende Fans tatsächlich Jahr für Jahr vom anderen Ende der Welt ins kleine Dörfchen Boom bei Antwerpen geflogen kommen. Pukkelpop, Dour, Les Ardentes, Lokerse Feesten, Cactus, Graspop, Couleur Café, Brussels Summer Festival, Esperanzah!, die Francofolies de Spa, und und und… Viele dieser Namen sind international bekannt. Zum Vergleich: Das deutsche Bundesland Nordrhein-Westfalen hat fast doppelt so viele Einwohner wie Belgien, aber kein einziges richtig großes Sommerfestival.
Woher kommt das bloß? Vieles hat mit der langen Tradition solcher Veranstaltungen zu tun. Rock Werchter ist über 40 Jahre alt, Pukkelpop feiert gerade seinen 30. Geburtstag und selbst das verrückte Tomorrowland hat inzwischen elf Auflagen auf dem Buckel. Die wichtigste Voraussetzung für den großen Erfolg sind aber die Veranstalter: Sie haben Erfahrung, sind extrem gut vernetzt und genießen international einen ausgezeichneten Ruf. Und: Sie haben sich über die Jahre das Know-How erarbeitet und das nötige Kleingeld erwirtschaftet. Nur so schaffen sie es, immer und immer wieder die allergrößten Bands dieser Welt ins kleine Belgien zu locken. Nicht ohne Grund sind die Werchter-Organisatoren Live Nation und Herman Schueremans bereits sieben Mal mit dem Arthur-Award des "besten Festivals der Welt" ausgezeichnet worden.
Das aufmerksame Publikum, der nette Empfang, der reibungslose Ablauf, die unverkrampfte Atmosphäre und die fantastische Programmvielfalt tragen ebenfalls zum Erfolg der belgischen Festivals bei. Wenn man bedenkt, dass alleine drei Tage Tomorrowland der belgischen Wirtschaft einen Mehrwert von schätzungsweise 70 Millionen Euro bescheren, dann sollte man die Bedeutung der Festivals – das gilt übrigens auch für das Image des Landes – nicht unterschätzen.
Eine wichtige Rolle spielen im festivalverrückten Belgien spielen auch die Medien, vor allem Radiosender wie Studio Brussel, PureFM und Classic21. Das ganze Jahr über bereiten sie ihre Hörer auf die Festivals vor, machen spannende Live-Sendungen vor Ort. Und: Sie spielen viel Musik. Nicht nur die Hits aus den Charts rauf und runter – wie Privatsender und viele Wellen in Deutschland es tun – sondern neue Musik. Die Sender setzen auf Innovation, probieren aus, haben keine Angst davor, auch mal zur besten Sendezeit daneben zu liegen. Das prägt den Musikgeschmack vieler Belgier. Avantgarde – ihrer Zeit immer etwas voraus. Genau wie die Sommerfestivals hierzulande.
Fazit: In Festivals sind wir Belgier Meister, genau wie in Fritten, Schokolade und Bier.
Alain Kniebs - Bild: Achim Nelles/BRF