Zugleich wurde bekannt, dass die Zahl der Überfälle in den letzten zwei Jahren um 20 Prozent angestiegen ist. Für den aufgeschreckten Bürger hat es mehr und mehr den Anschein, dass Polizei und Justiz der wachsenden Gewalt machtlos gegenüber stehen. Jedes Mal, wenn ein Kapitalverbrechen hierzulande unschuldige Menschenleben fordert, kündigt die Politik eine Verschärfung des Kampfes gegen die steigende Kriminalität an: Mehr Polizei im Streifendienst, strengere Strafen, oder die "Null-Toleranz", wie kürzlich nach Krawallen in Anderlecht.
Ob die Maßnahmen auch tatsächlich angewendet werden, darf man bezweifeln, doch selbst wenn es der Fall ist, muss leider festgestellt werden, dass ihre Wirkung minimal bis inexistent ist. Mit drei Toten und drei Schwerverletzten hat sich dies diese Woche in Brüssel einmal mehr bewahrheitet. Dabei ist das Geschehene nur die spektakuläre Spitze der kriminellen Gewaltbereitschaft. Weniger auffällig, aber nicht weniger beunruhigend, ist die Tatsache, dass inzwischen in Belgien Tag für Tag im Schnitt sechs Überfälle verübt werden. Ein Plus von 20 Prozent in nur zwei Jahren, und ein Drittel davon allein in Brüssel.
Entmutigte Polizisten
Fragt man nach dem Grund, so ist aus Expertenmund zu hören, dass Armut, Ausweglosigkeit und Verzweiflung zumindest bei den meisten jugendlichen Tätern die wichtigsten Auslöser für den Weg in die Kriminalität sind. Diese Erklärung ist sicherlich zutreffend, doch vollständig ist sie nicht. Hinzufügen müsste man nämlich, dass gerade die Jugendlichen, wenn sie eine Straftat begehen, entweder ungeschoren davonkommen oder aber nach der einen oder anderen Wiedergutmachungsmaßnahme, mit einem Gefühl von Unantastbarkeit den nächsten Coup bereits planen können.
Nicht von ungefähr sind viele der Gefassten mehrmalige Wiederholungstäter. In den für sie vorgesehenen Zentren ist vielfach kein Platz, so dass die zunehmend entmutigten und demotivierten Polizisten einen erst gestern gestellten Täter schon morgen erneut jagen müssen, weil er wieder zugeschlagen hat. Wer derart straflos schalten und walten kann, ist fast schon zwangsläufig geneigt, sein Leben nicht unbedingt ehrlich zu verdienen.
Kein Freibrief für "verlorene Generation"
Einen neuen Gipfel erreichte die kriminelle Unverfrorenheit am vergangenen Montag in der Brüsseler Gemeinde St. Gilles, wo Jugendliche Auto anzündeten, Scheiben zertrümmerten und sogar das Polizeikommissariat mit Molotow-Cocktails bombardierten, weil die Polizei es gewagt hatte, einen Freund von ihnen, das heißt einen mit Sturmgewehr bewaffneten Schwerverbrecher, auf der Flucht zu stellen und in Notwehr zu erschießen. Die Quittung war ein Sachschaden von mehreren 100.000 Euro zu Lasten der Allgemeinheit. Die gut zwanzig Unruhestifter gehören angeblich zu einer Bande von 300 bis 500 Jugendlichen, an denen Hopfen und Malz verloren ist. Sogar die Innenministerin sprach von einer "verlorenen Generation".
Aber dafür darf der Staat doch nicht hinnehmen, dass diese kleine Minderheit von Desperados nach Belieben die Hauptstadt des Landes terrorisiert. Nachdem sämtliche Integrationsversuche bei dieser Bande gescheitert sind, hat der Staat nicht nur das Recht, sondern sogar die Pflicht, mit äußerster Härte vorzugehen, um diesen Leuten das Handwerk zu legen.
Diagnose richtig, Rezept leider falsch
Geschieht das nicht, dann darf sich die politische Obrigkeit nicht wundern, wenn das Gefühl der Unsicherheit in der Bevölkerung weiter zunimmt und folglich immer mehr Landsleute zur Selbstjustiz greifen, wenn sie Opfer eines Verbrechens werden. Die beiden angegriffenen Juweliere in Brüssel waren wohl genügend Beweis dafür.
Wie dem auch sei, wenn schon Selbstjustiz verboten ist, und das übrigens zu Recht, dann muss der Staat wenigstens dafür sorgen, dass Verbrechen gesühnt werden und den Opfern im Rahmen des Möglichen Gerechtigkeit widerfährt. Und das kann er nur, indem die Justiz künftig wesentlich härter durchgreift, strenger straft und dafür sorgt, dass die verhängte Strafe auch tatsächlich verbüßt wird.
Einhellig hieß es zwar diese Woche, dass es so nicht weitergehen kann, doch wenn der Staat im Kampf gegen das Verbrechen weiter die Zügel schleifen lässt, kann man nur sagen: Diagnose richtig, Rezept leider falsch.