Demnach würden also - wenn nötig - sowohl der Internationale Währungsfonds als auch die Euro-Staaten Athen finanziell unter die Arme greifen. Viele Euroländer haben nur zähneknirschend einer möglichen Intervention des IWF zugestimmt: Auch die EU-Kommission hatte eine "hausinterne" Lösung bevorzugt. Man hat damit im Grunde nur der Forderung der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel Rechnung getragen. Wenn überhaupt, dann ist das aber nur ein Sieg mit einem ganz bitteren Beigeschmack.
Was hat Griechenland mit Nordrhein-Westfalen zu tun? Eigentlich nichts. Und doch. Wenn Deutschland zuletzt mit beiden Füßen auf der Bremse stand, als es darum ging, ein Notfallpaket für Griechenland zu schnüren, dann zeigte sich da doch eine Direktverbindung zwischen Düsseldorf und Athen. Am 9. Mai wird nämlich in NRW gewählt. Das erklärt zumindest Einiges.
Doch spielte Deutschland die Rolle des "fiesen Möpps" wohl nicht allein um des wahlstrategischen Zähnefletschens willen. Deutschland wollte wohl auch den Habitus des Zahlmeisters abstreifen. Und das ist -zumindest oberflächlich betrachtet - durchaus nachvollziehbar. In Berlin weiß man nämlich sehr wohl: Am Ende sind es immer die Deutschen, die das Scheckheft zücken und den Löwenanteil tragen müssen. Auf den Fall Griechenland bezogen heißt das also: Ein Land, das einem Teil seiner Bürger Hartz-IV aufgebrummt hat, müsste am Ende - wenn auch nur im absoluten Notfall und noch dazu eher virtuell - für diejenigen haften, die ihre Hausaufgaben eben nicht gemacht haben. Das ist tatsächlich schwer zu vermitteln.
Darf man dafür der deutschen Kanzlerin also die Absolution erteilen? Die Antwort ist: Nein!
Dass Griechenland seine Probleme im Wesentlichen selbst verschuldet hat, darüber muss nicht diskutiert werden. Dass man in Athen einen kreativen Umgang mit Zahlen pflegte, das ist nun wirklich nichts Neues. Bekannt war längst, dass sich Griechenland schon die Eintrittskarte ins Euroland erschlichen hatte.
Es wurde einfach weggeschaut. Die EU hat weggeschaut. Doch wer ist die EU?
Vor einigen Tagen machte Kommissionspräsident José-Manuel Barroso klar: Längst habe seine Behörde den griechischen Kollegen auf die Finger schauen wollen. Der Rat habe der Kommission und auch dem Statistikamt Eurostat aber nicht die entsprechenden Zuständigkeiten geben wollen. Brüssel seien also die Hände gebunden gewesen.
Und wer ist der Rat? Das sind bekanntlich die Staats- und Regierungschefs. Barroso nannte dann sogar auch Ross und Reiter: Vor allem Deutschland habe sich dagegen gesträubt, den zuständigen Stellen effizientere Instrumente an die Hand zu geben.
Wenn die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel jetzt also vollmundig fordert, der Vertrag müsse geändert werden, Daumenschrauben für Haushaltssünder geschaffen, gar Rausschmissklauseln formuliert werden, dann ist das reine Heuchelei. Berlin gehörte selbst zu denjenigen, die dafür gesorgt haben, dass die Einhaltung der bestehenden Regeln nicht überprüft werden konnte. Wohl auch, weil Deutschland vor nicht allzu langer Zeit noch selbst einen blauen Brief zugestellt bekommen hatte.
Nun ja, in der Zwischenzeit macht das den griechischen Patienten auch nicht mehr gesund. Da kann man noch so oft die Griechen an den Schandpfahl stellen, weil sie erwiesenermaßen mehr Zeit in das kunstvolle Dekorieren ihrer Statistiken investiert haben als in das Modernisieren ihrer Wirtschaft und ihres Sozialsystems. Es ist wie beim menschlichen Körper: Eine lokale Entzündung - und sei es am dicken Zeh - hat Auswirkungen auf den gesamten Organismus.
Genau das hat man in Berlin aber offensichtlich noch nicht erkannt. Man kann in der Sache Recht haben und doch falsch liegen. Es macht jedenfalls wenig Sinn, an der Hausordnung zu schreiben, wenn der Dachstuhl brennt. Bei aller Liebe: Ein Richtungsstreit in der Währungspolitik, vor den Augen der Märkte und der Weltöffentlichkeit, das hatte gerade noch gefehlt. Hier wurde in den letzten Tagen und Wochen so viel Porzellan zerdeppert, wie schon lange nicht mehr. Die Kakophonie der letzten Tage hat dem Euro wohl mehr geschadet, als es die Griechenland-Krise ohnehin schon tut. Das Bild der EU mit zehn Köpfen und elf Meinungen wurde mal wieder bestätigt. Die desaströse Botschaft: Selbst Europas Flaggschiff, die Eurozone, dümpelt derzeit orientierungslos durch die raue See der Post-Finanzkrise. Alle Kritiker, die den Euro für das verwegene Experiment einiger träumerischer Idealisten halten, wurden noch einmal auf der ganzen Linie bestätigt.
Und das teilweise sogar vollkommen zu Recht. Die Griechenland-Krise hat nämlich noch einmal gezeigt, wie wichtig es gewesen wäre, eben - statt wieder einmal nur halbe Sachen zu machen - dieses epochale Projekt "Euro" auch zu Ende zu denken.
Erstens: Eine gemeinsame Währung geht 'per se' einher mit einem Verzicht auf Souveränität. Das muss doch klar sein! Es bedurfte also längst einer zumindest halbwegs gemeinsamen Wirtschafts- und Finanzpolitik. Das allerdings sehen einige Staaten mit besonders großem Ego nur sehr langsam ein.
Und zweitens: Man sitzt eben in einem Boot. Da kann man doch nicht einfach den erst besten Drückeberger über Bord werfen. Und ihn auch nicht verhungern lassen, nur weil er getrickst hat. Der innereuropäischen Solidarität eine Intervention des Internationalen Währungsfonds vorziehen, ist ein Signal in die völlig falsche Richtung. Und dass sich dafür eine deutsche Bundeskanzlerin im Nachhinein auch noch feiern lässt, schlägt dem Fass den Boden aus.
Wenn man wirklich aus dem Griechenland-Debakel lernen will, dann gibt es eigentlich nur ein Fazit: Europa geht nur ganz oder eben… gar nicht.