Die Sachlage ist diese: Die Lütticher Justiz untersucht, ob Michel Daerden unrechtmäßig einer bestimmten Buchprüfungsgellschaft Aufträge zugeschanzt hat. Und ob er und sein Sohn Frédéric noch stets Gesellschafter dieser Firma sind, über ein Geflecht von Firmen-Verschachtelungen. Denn von Gesellschaftsrecht versteht der Mann aus Ans etwas: Unvergessen, mit welcher Ruhe er bei einer Fernsehrunde erklärte: "Keine Sorge, Ecclestone kann der Francorchamps-Betreibergesellschaft, so wie ich sie aufgezogen habe, nichts anhaben". Und in der Tat, Bernie Ecclestone verzichtete auf einen Rechtsstreit, trotz seiner Armee von Anwälten und trotz des vertraglichen Rechtssitzes London.
Andererseits: Einen Rechtsstreit gegen die Berufsgenossenschaft der belgischen Betriebsprüfer im Zusammenhang mit verschiedenen umsrtittenen Zuschlägen verlor Daerden. Seine politischen Gegner bezichtigen ihn darüber hinaus, er habe sich seines Netzwerkes bedient, um sein Buchprüferimperium überhaupt aufzubauen. Nicht nur Daerden würde über diese Entrüstung breit grinsen, so spät kommt die Erkenntnis der Mitwisser: Serge Kubla, das Bugbild der MR in Namur, und früher zusammen mit Daerden am Ministertisch schlug sich dann auch öffentlich an die Brust als morgendlicher Studiogast bei der RTBF und sprach kleinlaut von einem "Geraune", daß es gegeben habe.
Der Ecolo Politiker Westphal hatte zwar als erster den Finger auf die Wunde gelegt, die grünen Minister beließen's aber dabei. Kubla's mea culpa fehlte es allerdings nicht an Cleverness: Öffentlich büßen liegt im Trend und zudem sagte er den stimmigen Satz: "Die Zeiten hätten sich halt geändert". Das trifft auch auf den Mann zu, um den es hier geht: Daerden, den es nach eigner Aussage zur Bühne zog, verkörperte stets seine jeweilige Zeit. E msiger Arbeiter im Hintergrund, als dies gefragt war und anschließend Teil der Spaß-, Youtube- und Facebook-Gesellschaft. Und jetzt, wo die Zeiten sich geändert haben, voll im Fadenkreuz.
Sicherlich, nachdem ein oder mehrere, je nach Lesart, Informanten oder Denunzianten, Politikern, Journalisten und der Lütticher Justiz eine dicke Akte zuschickten, anonym. Wobei sie bei all ihrem Halali auf das angeschossene Wild allerdings wohl einen fundamentalen Fehler machten, einen so kapitalen Bock schossen, dass schon geraunt wird, Daerden sebst habe die Post verschickt. Sie enthält keine neuen Fakten, ist dafür aber in Form einer Anklageschrift verfasst, sozusagen gebrauchsfertig, mit Hinweisen auf Paragraphen, auf Präzedenzfälle und auf die herrschende Lehre. Ich will den Staatsanwalt sehen, der darauf nicht beleidigt reagiert, das wär' in jedem Beruf so: Kein Profi lässt sich gern vorschreiben, wie er seinen Job auszuüben hat.
Statt Druck aufzubauen, kompromittieren die selbsternannten Ankläger die Justiz regelrecht und schaffen ein zusätzliches Problem zu dem, das PS-Chef Di Rupo und seine Deontologiekommission bereits haben, und das sie bis dato ebenso sprachlos wie ratlos macht: Charleroi kaum befriedet, droht jetzt ein Kampfplatz Lüttich. Noch halten sich dort die Kämpfer zurück, scharren aber bereits mit den Hufen. Stichwort Charleroi: Stolperte Van Cau über einen ausgemusterten Heizkessel, den sich jemand aus seiner Seilschaft einbauen ließ, dachte der Gainsbourg-Bewunderer Daerden, sollten sich die Vorwürfe erhärten, in ungleich größeren Dimensionen. Das war er wohl seinem Idol schuldig.
Der Gainsbar der Politik, teils selbst geschaffen, teils von den Medien angeheizt, wirkt inzwischen gereizt, sein Premier Leterme winkte erst mal ab. Nicht das Schlechteste, denn ein Rücktritt Daerdens oder sein Fall, zum jetzigen Zeitpunkt käme am wenigsten dem Bürger zugute: Denn die Durchleuchtung der Pensionskassen der Belgier durch Daerden und sein Reformprojekt ist derzeit voll im Gange, und das möge man ihn - dessen Zahlenkunde und Rechenkunst von Freund und Feind gleichermaßen anerkannt sind - vollenden lassen, im Interesse der Menschen, auf die sich der Mann aus Ans so gerne beruft, aus Überzeugung oder aus Schau, das ist jetzt zweitrangig, angesichts der Wichtigkeit der Aufgabe.
Michel Daerden schwer unter Beschuss - ein Kommentar
Michel Daerden war erneut Gegenstand von Schlagzeilen. Nicht aufgrund von Youtube-Bildern, nein: Vielmehr aufgrund eines anonym erstellten Aktenordners.