Der Eupener Carrefour muss schließen, rund 100 Arbeitsplätze sind verloren. Zwei Tage später dann wurde bekannt, dass Aspel seine Eupener Produktionsniederlassung schließt: Noch einmal knapp 40 Jobs werden damit vernichtet. Diese beiden sozialen Tragödien führen dazu, dass die Krise in gewisser Weise greifbar wird, ein Gesicht bekommt.
Wo soll das noch hinführen? Das soll nicht wie die diffuse Weltschmerz-Floskel klingen, die immer dann zum Einsatz kommt, wenn man den Eindruck hat, das früher eben doch alles besser war. Wo soll das noch hinführen? Diese Frage ist ernst und wörtlich gemeint!
So lange die Wirtschaftskrise noch weit weg wütete, hatte das Ganze - zugegebenermaßen - etwas Abstraktes an sich. Das Planbüro geht für 2010 von mindestens 60.000 vernichteten Jobs aus. Eine Zahl: Eine von vielen düsteren Prognosen. Und dann wirken die Hiobsbotschaften vom Arbeitsmarkt durch ihre Häufung und durch die stetigen Steigerungen noch irgendwie inflationär. Frei nach dem Motto: Was sind denn schon 300 Arbeitsplätze, wenn bei Opel-Antwerpen 2.600 wegfallen sollen? Auch wenn man sich immer wieder in Erinnerung ruft, dass sich hinter diesen Zahlen Schicksale verbergen.
Gerade in Ostbelgien konnte man bislang immer noch den trügerischen Eindruck haben, dass es "am Ende wohl doch nicht so schlimm kommen wird". Bis eine Gewerkschafterin die Liste der Supermärkte verliest, die die Carrefour-Direktion schließen will. Und der Name "Eupen" fällt. Dann bekommt die Krise mit einem Mal ein Gesicht. Das angekündigte Ende von Aspel-Eupen zwei Tage später verstärkt dann noch diese plötzliche Erkenntnis, die eigentlich gar keine ist: Die Krise erreicht die Kapillargefäße, sie kommt jetzt an der Basis an, sie schlägt auf.
Die Wirtschaftskrise im Falle von Carrefour - die Globalisierung - zeigt plötzlich ihre hässliche Fratze überall, auch in Wirtschaftsräumen, die sich bislang auf der sicheren Seite wähnten, die soziale Dramen bislang nie oder wenn, dann nur selten oder in Einzelfällen gekannt haben. Das galt zunächst für Flandern, und jetzt eben auch für Ostbelgien.
Man darf nicht vergessen: Carrefour und Aspel, das hat für Eupen - einmal hochgerechnet - einen ähnlichen Impact wie das Ende von Opel-Antwerpen, die Zulieferer einmal ausgenommen. In diesem Zusammenhang darf man sich im Übrigen darüber wundern, dass Eupens Bürgermeister Dr. Elmar Keutgen sich bislang noch nicht dazu geäußert hat: 140 Arbeitsplätze, das ist für den Arbeitsmarkt im Eupener Land ein durchaus herber Schlag. Man will es nicht beschwören, aber auch das könnte nur der Anfang sein.
Das traurige Beispiel Eupen zeigt zudem, dass eine Entscheidung wie die von Carrefour weit größere Auswirkungen hat, als es die nackten Zahlen aussagen: Hier geht es nicht nur um den Verlust von 100 Arbeitsplätzen, was ja schon schlimm genug ist. Hier wird ein ganzer - wenn auch subregionaler - Wirtschaftsraum aus dem Gleichgewicht gebracht. Der Carrefour ist - wie der Name schon sagt - eine Kreuzung, in gewisser Weise vergleichbar mit einem mittelalterlichen Marktflecken: Ein wichtiger Pol in einer Gewerbezone, von dessen Anziehungskraft viele andere profitierten.
Die angekündigte Schließung des Supermarktes mit seiner überregionalen Strahlkraft kann nur zu einer Schwerpunktsverlagerung führen. Und das gilt für alle betroffenen Regionen. Carrefour nimmt nicht nur Einschnitte innerhalb seiner betrieblichen Struktur vor, sondern im wirtschaftlichen Gewebe ganzer Landstriche.
Das ist nur ein Beispiel dafür, wie Carrefour seine gesamtgesellschaftliche Verantwortung unterschätzt, um nicht zu sagen mit Füßen tritt. Es ist nicht nur die Tatsache, dass Carrefour knapp 1.700 Menschen auf die Straße setzt, es ist auch die Art und Weise, wie der Kahlschlag begründet wird. Ähnlich wie bei Opel hatten die Mitarbeiter längst gespürt, dass etwas faul war im Carrefour-Universum. Die Mitarbeiter wussten, dass Carrefour ein Imageproblem hatte, dass dem Konzept Hypermarkt die Puste ausging, dass Carrefour den belgischen Markt nie verstanden hatte, dass Carrefour seit zehn Jahren durch den belgischen Einzelhandel rennt wie ein kopfloses Huhn, dass die Franzosen glaubten, es reiche, wenn sie die Carrefour-Fahne hissen, um den belgischen Markt aufzumischen, dass die französischen Konquistadoren die in ihren Augen kleinen, indigenen Möchtegern-Konkurrenten Colruyt und Delhaize gnadenlos unterschätzt haben. Und wenn dann Carrefour-Belgien-Chef Gérard Lavinay am Ende hingeht, und die Probleme von Carrefour auf die Personalkosten reduziert, dann ist der Zynismus für jeden ersichtlich.
Carrefour hat, als man GB übernahm, nicht nur ein Unternehmen gekauft, sondern eine Traditionsmarke mit dem dazugehörigen sozial-gesellschaftlichen Qualitätssiegel. Wenn Carrefour jetzt chirurgische Eingriffe mit der Kettensäge vornimmt, dann trägt das Unternehmen mit dazu bei, dass das gesamtgesellschaftliche Gleichgewicht auf Dauer insgesamt ins Wanken, die Legitimität dieses, unseres Systems in Gefahr gerät. Hier füllt sich ein Fass: Und genau wie eine Spekulationsblase irgendeinmal platzt, so wird dieses Fass eines Tages überlaufen. Wo soll das noch hinführen? Man mag die Frage nicht beantworten wollen...