Hätte sich der Papst in Rom für einen anderen als seinen bekennenden Bewunderer Léonard entschieden, es wäre eine echte Sensation gewesen. Hand aufs Herz: Der konservative Kirchenmann aus Namür hatte allen Spekulationen zum Trotz nun mal von Anfang an die besten Karten.
In der vatikanischen Schaltzentrale setzt man in diesen Zeiten, in denen in der Kirche Westeuropas so vieles bedrohlich ins Wanken geraten ist, nicht auf riskante Experimente. Im Gegenteil: Linientreue ohne Wenn und Aber scheint den römischen Entscheidungsträgern der beste Garant, damit nicht alle Felle davon schwimmen.
Insofern entspricht es vatikanischer Logik, das ehemals so katholische Belgien - das inzwischen mit der Legalisierung von Euthanasie und Homo-Ehe zu den besonders schwarzen Schafen zählt - einem rigorosen Verwalter anzuvertrauen. Einem, der schon dem ehemaligen Kardinal Joseph Ratzinger kein Unbekannter war, denn immerhin kam Bischof Léonard bereits 1999 die Ehre zu, die Fastenexerzitien für die Kurie und den Papst zu predigen.
Und dass in nur einem einzigen belgischen Bistum - nämlich dem von Namur - die Zahl von Priesteramtskandidaten konstant bleibt, ist ein weiterer Pluspunkt für den 69-Jährigen, dessen Ernennung somit nicht wirklich verwundern kann.
Dass sie vielen sauer aufstößt, besonders den Gläubigen an der Basis, das ist ein anderes Kapitel.
Ob engagierte Laien oder Priester: Alle, die sich tagtäglich für die Weitergabe der Frohen Botschaft einsetzen und bemüht sind, Pfarren und Gemeinschaften zu lebendigen Orten christlichen Miteinanders zu machen, wissen, dass doktrinäres Reden und autoritäres Auftreten Suchende und Zweifelnde nur abschrecken können.
Dass der neue Primas der katholischen Kirche in Belgien ein hoch gebildeter Mann ist, ein sehr selbstsicheres Auftreten hat, mediengewandt ist und keine kontroversen Diskussionen mit Andersdenkenden scheut, hat er in der Vergangenheit zur Genüge bewiesen. Dass er in Fragen der Glaubenslehre und der Ethik die offizielle Position der katholischen Kirche vertritt, ist weder außergewöhnlich für einen Bischof noch unterscheidet ihn das von seinem Vorgänger oder seinen Mitbrüdern im Amt.
Bei vielen Katholiken löst aber eines Unbehagen aus: dass Léonard in der Vergangenheit wenig echte Dialogbereitschaft erkennen ließ, dafür aber latent arrogante Intoleranz. Bei allem Bemühen, freundlich, nahbar und jovial zu sein, vermag er eine gewisse Verbissenheit und fehlende Warmherzigkeit nicht zu verstecken.
Wie sich André-Mutien Léonard in seiner Eigenschaft als neuer Vorsitzender der belgischen Bischofskonferenz künftig auf höchstem politischen und gesellschaftlichen Parkett bewegen wird - wir werden sehen, lesen und hören, denn den Kontakt mit Mikrofonen und Kameras scheut er wahrlich nicht.
Die Erhebung des neuen Primas in den Kardinalsstand dürfte jetzt nur noch eine Frage der Zeit sein. Und ob Erzbischof Léonard seine Laufbahn in Mecheln-Brüssel oder vielleicht doch noch in Rom beendet, wo er ja nach der Wahl von Benedikt XVI. gar als Nachfolger an der Spitze der Glaubenskongregation gehandelt wurde, darüber mag spekulieren, wer gerne spekuliert.
Fakt ist, dass die belgische Amtskirche seit heute nach innen und nach außen ein neues Gesicht hat. Kein unbedeutendes Ereignis, und dennoch geht das Leben mit seinen täglichen Herausforderungen weiter - für die Katholiken im Land - und für die anderen auch ...
Neuer Erzbischof von Mechelen-Brüssel - ein Kommentar
Zwar war die Katze schon vor dem Wochenende aus dem Sack, amtlich war die Nachricht aber erst heute Mittag: Die katholische Kirche Belgiens hat einen neuen Primas in der Person des bisherigen Bischofs von Namur, André-Mutien Léonard. Weder innerkirchlich noch in der Zivilgesellschaft oder in den Medien ist der neue Erzbischof von Mecheln-Brüssel ein unbeschriebenes Blatt. Und so ist nur logisch, dass die Berufung des Nachfolgers von Kardinal Godfried Danneels für gemischte Gefühle sorgt.