Seit Tagen warnen die Wetterstars im Fernsehen vor einem chaotischen Wochenende. Jeder will den anderen überbieten und wirft deshalb mit wortgewaltigen Superlativen nur so um sich. Keine Frage: Die Wetterschau im TV ist längst zu einer Show geworden und passt damit in den Zeitgeist. Auch das Wetter wird zunehmend mediatisiert und muss für Einschaltquoten sorgen. Aber mit Sensationen werden Ängste nur geschürt.
Selbst wenn denn an diesem Wochenende die Warmfront aus dem Süden auf die Kaltfront im Norden knallt und sich das Ganze bei uns entladen sollte, selbst wenn es dicke kommt, wird das die Welt nicht aus den Angeln heben.
Vielen Menschen in unserer hyperkandidelten Gesellschaft ist der Kontakt zur natürlichen Umwelt abhanden gekommen. Sie haben den Boden unter den Füßen verloren, sie haben sich von der Natur entfremdet und den Umgang mit der natürlichen Umgebung verlernt.
Diejenigen, die ein paar Jahre mehr auf dem Buckel haben, erinnern sich gerade in unserer Region an noch echte Winter - in denen bis zu einem Meter Schnee durchaus keine Seltenheit waren, in denen die Weidezäune nicht mehr zu sehen waren, in denen die Kinder soviel von dem weißen Gold zur Verfügung hatten, dass sie meterhohe Iglus bauen konnten. Auch damals ist die Welt nicht im Chaos versunken.
Gewiss: Vieles war anders. Der Verkehr war nur spärlich, die Mobilität ohnehin geringer. Aber das sind gerade mal einige Jahrzehnte her - weltgeschichtlich quasi nur Millisekunden.
Heute haben viele im wahrsten Sinne des Wortes die Bodenhaftung verloren. Wenn in Brüssel ein bisschen Regen fällt, ist das Verkehrschaos vorprogrammiert. Wenn ein paar Zentimeter Schnee fallen, versinkt der Autobahnverkehr im Chaos. Tagtäglich zu beobachten etwa auf der E42, wenn die Brüsseler zum lukrativen Job nach Luxemburg düsen und ab Baraque Fraiture ins Schleudern geraten. Das dicke Geld im Ländchen wird in teure Autos investiert, für einen Satz ordentliche Winterreifen reicht es offenbar aber nicht. Dabei wäre alles soviel einfacher, mit Augenmaß und gesundem Menschenverstand.
Auch im Kleinen ist es nicht anders: Muss man denn unbedingt auf Stöckelschuhen über verschneite Bürgersteige trippeln? Ist das Outfit im Büro in diesen Tagen immer noch wichtiger als ordentliches Schuhwerk oder die gesunde Portion Menschenverstand?
Ein Thema beschäftigt die Medien in diesen Tagen ganz besonders: Das Streusalz wird möglicherweise knapp. Mag sein, dass es zu Engpässen kommt, aber auch das wird die Welt nicht aus den Fugen reißen. Und es entbindet Region, Städte und Kommunen nicht von ihrer Pflicht, für einen ordentlichen Winterräumdienst zu sorgen. Auch wenn einige Kommunen das nicht so genau nehmen.
Aber überall können auch sie nicht sein, die Streukolonnen und Schneefräsen. An ihnen liegt es nicht allein, wenn sich der Schnee auf den Straßen häuft. Die meisten Schneepflugfahrer verrichten ihre Arbeit mit der gleichen Begeisterung wie die Feuerwehrleute. Sie sehen sich als eine Art 'Retter in der Not'. Oft aber ist der Anspruch des Bürgers überzogen, nach dem Motto "Die auf der Gemeinde sollen gefälligst dafür sorgen!".
Nicht jedes Fleckchen Trottoir kann schnee- und eisfrei sein. Wer auf dem Lande lebt, sieht das Ganze ohnehin gelassener. Er kann nur müde lächeln, wenn er mitverfolgt, wie etwa im prozesswütigen Deutschland sensible Bürger Gerichtsverfahren anstrengen, wenn sie mal auf glatter Straße ausgerutscht sind und sich einen Knöchel verstaucht haben.
Wenn nun das Streusalz auszugehen droht, liegt die Schuld gleich auf mehreren Ebenen. Makroökonomisch, weil man sich in der globalisierten Wirtschaft auf einen einzigen Großlieferanten oder Monopolisten verlassen hat - regional und lokal, weil man sich mit Blick auf die schwächelnden Finanzen zu spärlich damit eingedeckt hat - und generell, weil man den Winter schon zu den Akten gelegt hat, noch bevor er überhaupt begonnen hat. Eben, weil man den Winter als herausfordernde Jahreszeit im Grunde abgeschrieben hat.
Auch das hat mit Entfremdung zu tun, mit einem mangelnden Bezug zur Natur, die sich ihre Launen nicht vorschreiben lässt. Mit dem pathetischen "Zurück zur Natur" der Romantiker ist es aber nicht getan - das gestörte Verhältnis unserer verstädterten Gesellschaft zur Natur muss wieder geradegerückt werden.
Die Angst vor dem Winter - ein Kommentar
Seit Tagen hat uns der Winter fest im Griff. Mit ihm steigen die Urängste der Bevölkerung, damit fertig zu werden. An diesem Wochenende ist eine neue Schnee-Offensive zu erwarten. Heißt das: Nichts geht mehr? Keine Panik!