Minus 20 Prozent, minus 30 Prozent. In Kopenhagen wird derzeit mächtig gefeilscht. Vor allem die Europäer wollen ihrer sich selbst angedichteten Vorreiterrolle gerecht werden, wollen den Anderen den Weg weisen, indem sie ihren CO2-Ausstoß massiv senken. Ihr Engagement in Ehren, aber manchmal muss man sich fragen, ob sich jeder darüber im Klaren ist, was sich hinter diesen Zahlen verbirgt.
So manchem Politiker darf man jedenfalls unterstellen, dass er diese Zahlen nicht wirklich ernst meint, in dem Sinne, dass er mitnichten daran denkt, seinen Wählern oder geschweige denn sich selbst einen anderen Lebenswandel zu verordnen. Der eine oder andere denkt wohl insgeheim daran, der Dritten Welt einen fetten Scheck überreichen zu können, um dann deren CO2-Zertifikate nutzen zu können.
Das soll keine bösartige Unterstellung sein, es ist nur eine Interpretation dessen, was man gerade beobachten kann. Wenn nämlich 2020 der CO2-Ausstoß um ein Fünftel, vielleicht sogar 30 Prozent gesenkt werden soll, dann sollte man sich einmal vor Augen führen, dass 2020 nicht mehr in irgendeiner Science-Fiction-Zukunft liegt, sondern in zehn Jahren. Ein Fünftel weniger CO2, und das in zehn Jahren, das müsste man in unserer Erdöl-hörigen Welt doch längst sehen, da müssten doch radikale Umwälzungen ihre Schatten vorauswerfen.
Überall vielleicht, aber - alle bisherigen Anstrengungen in Ehren - nicht hier, jedenfalls nicht solange es sich immer noch lohnt, Krustentiere in der Nordsee zu fangen, diese dann zur Weiterverarbeitung nach Marokko und dann wieder zurück zu transportieren. Nicht solange zu gleich welcher Jahreszeit das ganze Sortiment an Obst und Gemüse zu haben ist, wenn sogar Bio-Bohnen und Schnittblumen aus den exotischsten Anbaugebieten tonnenweise in unsere Supermärkte gekarrt werden. Nicht solange die Straßen und Innenstädte mehr denn je von Autos beherrscht und belagert werden, die Größe und Gewicht eines ausgewachsenen Panzerspähwagens haben. Nicht solange Flugzeugtrips billiger sind als vergleichbare Zugreisen.
Wenn die EU es wirklich ernst meint mit ihren Vorgaben, dann kann man sich einer ganzen Reihe dieser Wohlstands-Wohlfühl-Vorzüge, die heute nicht mehr wegzudenken sind, getrost verabschieden. Das Problem: Wer genau das klar und deutlich sagt, wer das Unausweichliche prophezeit, nämlich, dass sich unsere Lebensweise grundlegend verändern muss - verändern wird - der wird immer noch allenfalls als fundamentalistischer Umwelt-Ajatollah oder Öko-Faschist abgestempelt, als einer jener Spinner, Spielverderber, Spaßbremsen, die uns das Leben zur Hölle machen wollen, vorzugsweise über die Erhebung von Umweltsteuern.
Diejenigen, die sich krampfhaft an der alten Welt festklammern, sollten sich jedoch einmal vor Augen führen, wie denn wohl die Gesellschaft der Zukunft aussehen könnte, die 30, 50, 80 Prozent weniger CO2 ausstößt, die sich also in vergleichsweise kurzer Zeit von Erdöl und Kohle verabschieden muss. Deshalb noch einmal die Frage: Meinen wir, meinen die EU-Staats- und Regierungschefs es wirklich ernst mit den Klimaschutzzielen? Die Antwort ist: Nein! Leider!
Und der Grund liegt in der Natur des Menschen und im Besonderen des Politikers: Ein Politiker denkt in Legislaturperioden, in vier oder fünf Jahresspannen. Ein Mensch hat immerhin in der Regel sein eigenes Leben vor Augen. In beide Zeitraster passt aber nicht in das, was viele immer noch als diffuse Bedrohung betrachten, die vielleicht in 50, 60 Jahren wirklich akut wird, wenn überhaupt, da nicht wenige den Klimawandel für Fiktion halten, für eine Modeerscheinung, gar für das Produkt einer Verschwörung. Die Erfahrung lehrt schließlich: Selbst bei Fakten schauen die meisten in der Regel weg. Warum sollten der bedrohte Eisbär oder der schmelzende Gletscher plötzlich das schaffen, was der erwiesenermaßen aussterbende Thunfisch oder die immer neuen Hungerkatastrophen in Afrika nicht geschafft haben, mit Namen: dass der Wohlstandsbürger des Westens endlich den Realitäten ins Auge blickt und einsieht, dass es so nicht ewig weitergehen kann.
Vor nicht allzu langer Zeit beruhigte der PS-Politiker Michel Daerden seine Wähler noch mit den Worten: "In einer ersten Phase sei die Klimaerwärmung sogar gut für die Wallonie - wärmere Temperaturen förderten doch schließlich den Tourismus". Der für Umweltbesteuerung zuständige liberale Staatssekretär Bernard Clerfayt, verkündete unlängst, dass große PKW künftig "ein bisschen mehr" und saubere Autos "ein bisschen weniger" besteuert würden. "Ein bisschen mehr hier, ein bisschen weniger da", das klingt nicht unbedingt nach einem anstehenden Paradigmenwechsel.
Genau darum geht es aber. Kopenhagen, das ist kein Hochamt für Weltverbesserer, hier geht es um mehr, als den Klimaschutz, hier geht es um unser Gesellschaftsmodell, unsere wirtschaftliche Grundordnung. Verzicht, das ist das Wort, das eigentlich im Zentrum von Kopenhagen steht, das aber niemand aussprechen will. Verzicht, das ist ja nicht gleichbedeutend mit einem Rückfahrschein in die Steinzeit. Verzicht, das heißt vielmehr: Die Fatalität als Chance betrachten.
Keine Sorge: was am Ende auch der Klimawandel wohl nicht schaffen wird, also die Bereitschaft zum Verzicht zu wecken, das schafft am Ende die Natur: Erdöl ist ein endlicher Rohstoff, irgendwann ist nichts mehr da. Die Preise können in den nächsten Jahren nur steigen, einen Vorgeschmack werden wird spätestens dann bekommen, wenn der weltweite Konjunkturmotor wieder angesprungen ist. Wer sich nicht rechtzeitig auf die Umwälzungen vorbereitet, der macht also gleich zwei Zeitbomben scharf, eine ökologische, aber auch eine soziale. Entsprechend ist es buchstäblich kriminell, wenn Politiker zwar hehre Versprechungen machen, sich aber aus wahltaktischen Gründen scheuen, endlich die Wahrheit zu sagen.