Dass man als Belgier auf etwas stolz sein darf, kommt sicherlich nicht alle Tage vor. Diesmal jedoch darf die Tatsache, dass ein Landsmann einen der wichtigsten Posten in der Europäischen Union einnehmen wird, uns schon ein wenig mit Stolz erfüllen. Auf jeden Fall ist es eine Ehre und ein historischer Augenblick.
Vom Rentnerkandidaten zur Nummer 1
Dieser Herman Van Rompuy ist schon ein Phänomen: Vor einem Jahr bereitete er sich sozusagen auf seinen politischen Ruhestand vor, da machte man ihn zum Premierminister, weil man in diesem ruhigen, diskreten, zugleich aber auch erfahrenen, intelligenten und äußerst gemäßigten flämischen Politiker den Mann sah, der die hoch schlagenden Wogen zwischen Flandern und der Wallonie noch glätten konnte.
Das hat er zwar geschafft, doch eine Lösung für die Quadratur des Kreises, die in Belgien den Namen Brüssel-Halle-Vilvoorde trägt, hat auch er noch nicht gefunden. Er schickte sich zwar an, darüber die Verhandlungen aufzunehmen, doch jetzt ist es zu spät, denn Herman wurde an die Spitze Europas katapultiert. Vom politischen Rentnerkandidaten zur Nummer Eins der EU, das muss ihm noch einer nachmachen.
Kein Politstar, doch auch nicht ohne Rückgrat
Zweifellos hat sein Verhandlungsgeschick und seine Kompromissfähigkeit bei dieser Wahl eine Rolle gespielt, doch hat die Entscheidung für ihn - dass muss man objektiv zugeben - nicht allein mit seinen Qualitäten zu tun. Van Rompuy ist nicht gerade der Politiker mit umwerfender Ausstrahlung, er hat eher das Charisma eines Briefbeschwerers, mit dem er auf Leute wie Sarkozy und Merkel keine Schatten wirft. Dass er den Großen in Europa nicht die Schau stiehlt, das hat bei seiner Ernennung sicherlich auch eine Rolle gespielt.
Man sollte ihn jedoch nicht unterschätzen. Kein Geringerer als der französische Staatspräsident Sarkozy meinte nach Van Rompuys Wahl, dieser Mann sei kein politisches Stehaufmännchen ohne Profil und Überzeugung. Im Gegenteil, so meinte er, dieser Van Rompuy weiß genau, was er will.
Mit dieser Beurteilung liegt er zweifellos richtig. Und daher kann man davon ausgehen, dass er seine künftige Funktion nicht unbedingt an der Hand der Großen wahrnehmen wird, sondern - als überzeugter Europäer - dem weiteren Einigungsprozess seinen Stempel aufdrücken wird. Seine wichtigste Aufgabe, die darin bestehen wird, die europäischen Gipfeltreffen vorzubereiten und zu leiten, Widersprüche auszuräumen und bei gegensätzlichen Interessen Kompromisse vorzulegen, diese Aufgabe wird er zweifellos dazu nutzen, die künftigen Entscheidungen der Staats- und Regierungschefs in Europa zu beeinflussen.
Und da Van Rompuy dabei nicht national sondern europäisch denkt, müsste dies für die Union im Grunde eine gute Sache sein. Insofern kann man sagen, dass Europa mit Van Rompuy als Präsidenten einen Gewinn verbucht hat.
Und Belgien?
Belgien hat ihn verloren. Daran gibt’s nichts zu rütteln, auch wenn zurzeit nicht abzusehen ist, wie schwer dieser Verlust in die innenpolitische Waagschale fallen wird.
Während der König heute seine Konsultationen im Hinblick auf die Nachfolge Van Rompuys aufnahm, ist so gut wie sicher, dass niemand anders als Yves Leterme an die Regierungsspitze zurückkehren wird. Auf ihn warten dann die zwei heißesten Eisen der belgischen Innenpolitik, nämlich die weitere Staatsreform und das Problem um Brüssel-Halle-Vilvoorde.
Hier Lösungen zu finden, wäre auch unter dem gemäßigten Van Rompuy eine zentnerschwere Aufgabe gewesen, doch unter Leterme, so befürchten vor allem die Frankophonen im Regierungslager, dürfte sich dies als nahezu unmöglich erweisen.
Belgien hält den Atem an
Vielleicht sehen sie auch zu schwarz, denn Leterme könnte ja in den vergangenen Monaten als Außenminister in Sachen Diplomatie hinzugelernt haben. Außerdem wird er sich wohl darüber im klaren sein, dass dieser dritte Anlauf für ihn die letzte Chance ist, zu beweisen, dass er für den Job des Regierungschefs geeignet ist.
Bevor er die Frankophonen mit allzu flämischen Positionen ins Bockshorn jagt, sollte er sich an eine Maxime Van Rompuys erinnern, die besagt, dass es bei Verhandlungen nur Sieger geben darf. Wenn einer als Verlierer daraus hervorgeht, dann ist schlecht verhandelt worden. Gut gesagt, aber sicherlich auch leichter gesagt als getan.
Eins steht allerdings fest: In Erwartung Letermes hält Belgien schon mal den Atem an.