Der ideale EU-Präsident
Der inzwischen apokalyptische Züge tragende belgischen Sprachenstreit hat offensichtlich auch positive Nebenwirkungen: Er produziert den Idealtypus des EU-Politikers.
Da gilt mehr denn je die längst zum geflügelten Wort avancierte These des flämischen Publizisten Geert Van Istendael: "L'Europe sera belge, ou ne sera pas": Nur ein in gewisser Weise "belgisches" Europa hat eine Zukunft - der "compromis à la belge" als Bedienungsanleitung für Europa.
Darauf aufbauend könnte man nämlich auch behaupten: Wer in Belgien als Premierminister bestehen kann (konkret: wer in Belgien Konsens herbeiführen kann), der qualifiziert sich damit automatisch für die Europa-Liga.
Kein Wunder also, dass schon Jean-Luc Dehaene und Guy Verhofstadt heiße Anwärter auf den Posten des EU-Kommissionspräsidenten waren. Beide sind es am Ende nicht geworden, böse Zungen behaupten, der Hauptgrund für das Scheitern der beiden Ex-Premiers sei wohl der gewesen, dass sie eben ZU gut dem Jobprofil entsprachen. Ein zu starker Kommissionspräsident ist längst nicht im Sinne aller, insbesondere der Europa-Skeptiker.
Und jetzt ist also Herman Van Rompuy offenbar wieder so ein Wunschkandidat, er könnte der erste ständige EU-Ratspräsident werden. Den Posten sieht ja erst der Vertrag von Lissabon vor, der jetzt, nach dem Ende des tschechischen Guerilla-Kampfes, wohl bald in Kraft treten kann.
Hat Van Rompuy das Format für den Job?
Keine Frage! Der Mann wurde nicht umsonst auch schon der "Buddha von Zaventem" genannt. Es ist vor allem sein Verdienst, dass nach der existentiellen Krise von 2007-2008 wieder Ruhe eingekehrt ist. Die mag trügerisch sein und von vorübergehender Natur, nichts desto trotz traut man ihm und der "Methode Van Rompuy" inzwischen Einiges zu.
Sogar in Flandern will man nicht mehr ausschließen, dass unter seiner Ägide der Dauerstreit BHV tatsächlich beendet werden kann. Van Rompuy steht für Diskretion, Zielstrebigkeit, Ernsthaftigkeit, und damit letztlich auch für Effizienz.
Das Ganze hat zwar mitunter den Charme eines Finanzamtes aus den 50er Jahren. Van Rompuy ist eben kein Prediger, kein Mitreißer à la Verhofstadt. Allein das Ergebnis zählt, Van Rompuy hält nichts von Showeffekten und Theaterdonner.
Doch macht all das ihn erst Recht zu einer Idealbesetzung: Ein Ratspräsident Van Rompuy wäre ein Garant für Ausgewogenheit und Aufrichtigkeit in der Konsenssuche und würde zudem den Egomanen unter den EU-Staats- und Regierungschefs nicht die Schau stehlen. Bescheidenheit, das ist mitunter - denkt man an den einen oder anderen selbstverliebten Staatschef - sogar die wichtigste Grundvoraussetzung.
Ideal ist nicht genug?
Reicht das? Überall vielleicht, aber dafür immer noch nicht notwendigerweise in der EU, wo Kompromisse mitunter auch Unvernünftiges produzieren können. Durchaus möglich ist nämlich auch, dass Van Rompuy, wie so mancher Beobachter glaubt, ein weiterer Testballon ist, ein weiterer Name, der in die Arena geworfen wird, um die Aufmerksamkeit von möglichen internen Meinungsverschiedenheiten abzulenken.
Rauchgranate oder Ratspräsident? Darüber wird ein EU-Sondergipfel zu befinden haben, wahrscheinlich Ende kommender Woche.
In der Zwischenzeit sorgt allein die Möglichkeit eines Abgangs von Herman Van Rompuy hierzulande schon für mächtig Unruhe. Eben weil er so gut nach Europa passt, würde er in der Rue de la Loi nämlich schmerzlich fehlen. Und das nicht nur wegen seines möglichen Nachfolgers, Yves Leterme nämlich, der sich - vornehm formuliert - bislang nicht wirklich für den Job des Premiers empfohlen hat.
Wer soll dann Belgien regieren?
Schlimm genug, aber die Gerüchte um die Zukunft des Herman Van Rompuy legen mit einem Mal offen, wie sehr die politische Stabilität des Landes von einem auf ersten Blick farblosen 62-Jährigen abzuhängen scheint, der - nach eigenen Angaben - eigentlich schon mit einem Bein im Ruhestand war.
Dass es am Ende - vor fast genau einem Jahr - ein Vertreter der alten Garde war, der die Kohlen aus dem Feuer holen musste, wirft ein wenig schmeichelhaftes Licht auf die Politikergeneration, die eigentlich an der Reihe wäre. Die scheint allerdings Herman Van Rompuy allenfalls als einen Betriebsunfall zu betrachten, einen Besucher aus einer anderen Ära, der es durch Zufall zum Premier gebracht hat. Ein Profil à la Van Rompuy, das auf der Europäischen Bühne als besagter Idealtypus eines Spitzenpolitikers durchgeht, scheint im eigenen Land vom Aussterben bedroht zu sein.
Insofern ist man vielleicht bald dazu genötigt, die Istendael'sche Maxime umzudrehen: Am Ende überflügelt der Schüler den Meister, am Ende muss Europa Belgien den Weg weisen.
Selbst wenn sich die mögliche Berufung des Herman Van Rompuy in ein Europäisches Spitzenamt vielleicht bald schon wieder in Wohlgefallen auflöst, so sollte diese Episode den Jüngeren doch eine Lehre sein: die Dehaenes, Verhofstadts und Van Rompuys gehören nicht ins Wachsfigurenkabinett, sie sind der Politikertypus von morgen.
Im ach so zerstrittenen Europa scheint man das verstanden zu haben ...