Der eingeleitete Interessenkonflikt gibt den Protagonisten in Sachen BHV zusätzlich 120 Tage Zeit, die Lösung für ein Problem zu finden, an dem sich, wie an keinem anderen zuvor, die Geister zwischen Flamen und Wallonen scheiden.
Die Deutschsprachigen wollten auf keinen Fall den Schiedsrichter spielen, sondern allein der Verhandlung eine zusätzliche Chance geben.
Für den Präsidenten des flämischen Parlaments, Jan Peumans, war das bereits zu viel. Die in seinen Augen flamenfeindliche Haltung quittierte er mit der Ankündigung, er werde dem Festakt zum Gemeinschaftsfeiertag der DG am 15. November fern bleiben. Er verweist diesbezüglich darauf, dass er Abgeordneter der N-VA, der Nieuwe Vlaamse Alliantie, ist, von der man wissen muss, dass sie, genau wie der Vlaams Belang, das Ende Belgiens herbeisehnt.
Seine Reaktion als flämischer Nationalist kann man noch nachvollziehen, doch ist dieser Jan Peumans immerhin auch Präsident des flämischen Parlaments und als solcher hat er über den Parteien zu stehen. Aus dieser Sicht betrachtet, ist es ebenso unverfroren wie unbegreiflich, dass er die Deutschsprachigen an ihrem Gemeinschaftsfeiertag boykottiert. Allerdings scheint das flämische Parlament seinem Präsidenten so etwas wie Narrenfreiheit zu gewähren, denn als Anti-Monarchist meidet er auch das belgische Königshaus. So gesehen befinden sich die Deutschsprachigen also in guter Gesellschaft.
Im übrigen scheint Jan Peumans seine schroffe Absage bereits ein wenig zu bereuen, beeilte er sich doch mitzuteilen, dass er zu Weihnachten im flämischen Parlament einen ostbelgischen Christbaum aufstellen lässt, den PDG-Präsident Siquet höchstpersönlich überbringen soll.
Wichtiger jedoch ist festzuhalten, dass die flämische Kritik an den Deutschsprachigen, zumindest auf politischer Ebene, einzig und allein von den flämischen Nationalisten - sprich Separatisten - kommt. Jene, die in Flandern einer Verhandlungslösung des BHV-Problems noch eine Chance geben wollen, und das ist zum Glück die Mehrheit, dürften die PDG-Entscheidung, ohne es laut zu sagen, begrüßt haben.
Folgen hat der Interessenkonflikt aber auch in der Deutschsprachigen Gemeinschaft selbst. ProDG und CSP bombardieren sich seither mit Vorwürfen und Verdächtigungen. Auslöser war der Redebeitrag von ProDG-Fraktionschef Gerhard Palm, der sich zum BHV-Konflikt inhaltlich geäußert hatte und damit - laut CSP-Vorwurf - die Neutralität der DG verletzte.
Sein Plädoyer für die Anwendung des Territorialitätsprinzips, wonach man in Flandern Flämisch, in der Wallonie Französisch und in der DG Deutsch zu sprechen hat, und zwar ohne sprachliche Erleichterungen für Anderssprachige, würde zwar das BHV-Problem im Sinne der Flamen lösen, doch ist es in Belgien leider nicht praktikabel. Bei uns ist über Jahrzehnte so viel an sprachpolitischen Kompromissen, gegenseitigen Zugeständnissen und Ausnahmeregelungen angehäuft worden, dass es von dem dabei erzielten Gleichgewicht zwischen Nehmen und Geben kein Zurück mehr gibt.
Palms Vorschlag wäre vor 50 Jahren eine Lösung gewesen, heute ist es dafür zu spät.
Die BHV-Lösung, die für Flamen wie Frankophone annehmbar ist, kann nur ein Konsens über einen weiteren Kompromiss sein, auch wenn zur Zeit niemand weiß, wie der aussehen könnte.
Ob die CSP Recht hat, indem sie aus dem Vorschlag des ProDG-Fraktionsführers - wenn man ihn auf die DG bezieht - eine Absage an Mehrsprachigkeit und Minderheitenschutz in Ostbelgien ableitet, das möge jeder für sich beurteilen.
Vor diesem Hintergrund sei abschließend jedoch die Bemerkung eines Flamen weiter gegeben, der oft nach Eupen kommt und dabei feststellte, dass man dort im Supermarkt, Restaurant oder Krankenhaus mitunter so viel Französisch hört, dass man sich unwillkürlich fragt, ob die, wie es oft heißt, bestgeschützte deutschsprachige Minderheit Europas, in einigen Jahren in ihrem Alltag nicht mindestens so viel Französisch wie ihre Muttersprache sprechen wird.
Sie lachen … dann fragen sie mal die Flamen in den flämischen Gemeinden rund um Brüssel, wie es ihnen ergangen ist.
Für die - um es mit einem geflügelten Patrick Meyer-Wort zu sagen - kommt nicht der Zug, er ist bereits abgefahren.
Interessenkonflikt mit Folgen - ein Kommentar
Noch nie gab es für eine Sitzung des Parlaments der Deutschsprachigen Gemeinschaft ein solches Medieninteresse wie letzten Montag, als dort ein Interessenkonflikt in Sachen Wahlbezirk Brüssel-Halle-Vilvoorde eingeleitet wurde. Diese Entscheidung von 22 der 25 Mitglieder des PDG war erwartet worden, überraschend kamen hingegen die ersten unmittelbaren Folgen.