Hätte der Kelch an der DG vorbeigehen können? Klar, wenn das Brüsseler Parlament sich bereit erklärt hätte, den Konflikt anzumelden. Aber ist Picqué der Mann, der sich exponiert? Doch zu seiner Entlastung sei gesagt: Kommt es im Brüsseler Parlament zu einer Abstimmung Frankophone gegen Flamen, dann hätte Flandern freie Bahn im föderalen Parlament, die Spaltung von BHV zu rechtfertigen. Womit? Mit dem Abstimmungsergebnis. Flamen gegen Frankophone. In beiden Fällen Mehrheit gegen Minderheit.
Und das ist es, was für die DG aus dem Kelch BHV eine Chance macht: die Chance besteht darin, sich einmal Gedanken über das Land zu machen, in dem die Deuschsprachigen leben. Genauer, über die Art und Weise, wie es sich organisiert hat, in seiner jüngeren Geschichte, seit es auf den Grundsätzen von Gemeinschaften und Regionen aufbaut.
Dafür mussten die Gründerväter wie Wilfried Martens, André Cools oder Hugo Schiltz den Demokratiebegriff neu erfinden. Genauer gesagt, den Begriff weiterentwickeln. Weiter entwickeln in einer Weise, in dem es inzwischen auch die Europäische Union tut, etwa, wenn sie neue Staaten in ihren Kreis aufnimmt.
In dem Sinne, dass Demokratie mehr ist als Mehrheitsentscheidungen, dass Demokratie mehr erfordert als eine Mehrheit von 51 Prozent. Dass der zeitgemäße Demokratiebegriff weiter gefasst ist: Vom Kinderschutz über sozialwirtschaftliche Rechte bis hin zum bewussten Umgang mit Ressourcen. Dies als Ermunterung, die BHV-Bürde nicht nur als eine Bürde anzusehen, sondern auch als eine Einladung, in der Thematik nicht zu kurz zu denken.
Gewiss, es ist verlockend, sich einzureden, BHV gehe uns gar nichts an, wir würden das nur auf uns nehmen, um das Vaterland zu retten - wobei dies gar nicht so abwegig ist: Kommt es nämlich zur Kampfabstimmung im Parlament und sollte dann die eine der beiden Seiten an der Alarmglocke ziehen, dann fällt in der gleichen Sekunde die Regierung, und dann ist alles möglich, bis zur hin zur Auflösung des Landes, sind doch die Abgeordneten aus einem der Wahlbezirke des Landes nicht nach geltendem Recht gewählt - wenn dort überhaupt gewählt wird.
Wenn dann das Parlament über die Gültigkeit der Abgeordnetenmandate befinden wird, wird das ein Zählvorgang mit Dynamit sein. Das weiß auch die CD&V-Vorsitzende Marianne Thyssen und das erklärt auch ihren Ausspruch, sie wolle keine Abstimmung über BHV, ein Ausspruch, der seitdem von solchen Stimmen in Flandern geradezu gegeißelt wird, für die das Ende des Staates oder zumindest eine handfeste Staatskrise kein Drama wäre.
Taal-Aktie- und andere Aktivisten werden bei ihrer Aktion in Eupen auch nicht sagen, dass der heutige Wahlkreis ihnen vor allem deshalb ein Dorn im Auge ist, weil er die letzte räumliche Verbindung zwischen Nord und Süd ist, die Spaltung des alten Wahlkreises aber eine durchgehende Sprachengrenze schaffen würde, was bei einer etwaigen späteren Festlegung neuer Staatsgrenzen den Sympathisanten solcher Vorstellungen höchst willkommen wäre.
Dies hat der Staatsrechtler Christian Behrendt überzeugend dargelegt, unter anderem in einem BRF-Studiogespräch. Wer sagt da, BHV sei langweilig und müsse niemanden interessieren? Frau Thyssen weiß auch, dass sie, auch nach einer Kampfabstimmung noch immer keine Gewähr für die Spaltung des Wahlbezirkes hat, weil wahrscheinlich niemand das Gesetz gegenzeichnet, mangels Regierung. Aber das war ja gewollt von den Gründervätern Martens, Cools, Nothonb und Schiltz! Sie wollten eine Konsensdemokratie, keine Abstimmungsdiktate.
Und das ist der Grund, weshalb die Deutschsprachigen keine Bauchschmerzen haben müssen. Über den legitimen Anspruch hinaus, im eigenen Interesse gesamt-belgische Interessen zu vertreten, wäre es für die deutschsprachigen Belgier als Minderheit im Lande, in Europa und in der Welt geradezu selbstmörderisch, wenn sie tatenlos zusehen würden, wenn an Stelle der Konsensdemokratie eine Abstimmungsdemokratie treten würde. Es wäre eine Absage an die Gründerväter.
Nein, die DG-Bürger brauchen keine Bauchschmerzen zu haben. Und wenn wirklich einige Flamen, nicht "die Flamen", weil "die Flamen" gibt es nicht, mit Bauchschmerzen nach Ostbelgien in den Urlaub kommen sollten, dann wären dies Folgen des Erwachsenwerdens: Dann lockt nicht mehr Heidi-Romantik, sondern empfängt mit offenen Armen ein erwachsener Partner die Gäste.
Die DG und BHV - ein Kommentar
Das Parlament der DG wird mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit einen Interessenkonflikt anmelden. Die schwierige Ausgangslage ist bekannt: Tut sie es nicht, spielt sie der flämischen Forderung nach einer Spaltung des Wahlkreises BHV in die Hände. Tut sie es wohl, setzt sie sich Verdächtigungen aus, der frankophonen Seite zu helfen.