Eigentlich hatte es der Premier fast schon geschafft, auf seine ureigene Art und Weise der Opposition den Wind aus den Segeln zu nehmen - bis GDF-Suez-Chef Gérard Mestrallet in Paris eine Bombe platzen ließ. GDF-Suez weigert sich demnach, eine von der Regierung auferlegte Abgabe zu entrichten, und reißt damit ein neues Loch in den Etat.
Es ist vor allem die Art und Weise. Ohne Kommuniqué oder Pressekonferenz, sondern mal eben beiläufig lässt Gérard Mestrallet, der große GDF-Suez-Chef, eine Bombe platzen, und zeigt damit eindrucksvoll, wie viel er von der belgischen Regierung hält: die 500 Millionen Euro, die der Mutterkonzern des Stromproduzenten Electrabel eigentlich in diesem Jahr zu entrichten habe, werde man selbstverständlich nicht zahlen. Nicht 500 Millionen, sondern nichts, "zéro".
Die Brüsseler Reaktion auf die Ankündigung gibt Mestrallet in seiner Arroganz und Süffisanz auch noch Recht: Während Premierminister Van Rompuy und Energieminister Magnette noch um den Brei drehten und mehr schlecht als recht versuchten, die Meldung aus Paris zu relativieren, lachte Haushaltsminister Vanhengel schon mit entwaffnender Lässigkeit in die Pressemikrophone: "Sie meinen doch nicht etwa die 500 Millionen? Mit denen haben wir doch längst nicht mehr gerechnet!".
Wie sich später zeigen sollte, hängen besagte 500 Millionen tatsächlich in der Luft. Eigentlich sollte Electrabel die Abgabe in diesem Jahr entrichten, als Ausgleich für die astronomischen Gewinne, die man aus den längst abgeschriebenen belgischen Atomreaktoren schöpft.
Schon 2008 war ein solcher Obolus fällig, GDF-Suez hat die Maßnahme aber vor dem Verfassungsgerichtshof angefochten. Offenbar sieht es danach aus, als könnte das Gericht den Franzosen Recht geben. Nicht nur, dass GDF-Suez damit die bereits entrichteten 250 Millionen erstattet bekäme, die für 2009 fällige halbe Milliarde würde damit tatsächlich ebenfalls null und nichtig.
Die Föderalregierung musste denn auch in der Kammer kleinlaut einräumen, dass zwar die jährliche Abgabe, die Energieminister Magnette dem Stromproduzenten für den Zeitraum 2010-2014 abgerungen hat, niet- und nagelfest sei, für 2008 und 2009 gebe es aber nicht wirklich ein Abkommen. Was muss man also feststellen? Mestrallet hat womöglich auch noch Recht mit seiner "zéro Euro"- Aussage.
Einmal mehr wird der belgische Staat hier also geradezu vorgeführt. Oder es sollte besser heißen: Die Regierung lässt sich vorführen.
Die Belgier treten erschreckend naiv auf, sie geben immer wieder aufs Neue den gefügigen Pausenclown, sie sind offensichtlich nicht dazu in der Lage, den insbesondere französischen Industriekapitänen die Stirn zu bieten. Fast muss man den Eindruck haben, die Brüsseler Politik wirft sich reflexartig in den Staub, wenn ein Pariser Big-Player auf den Plan tritt. Man erinnere sich nur an das Auftreten von BNP-Paribas im Zusammenhang mit der Übernahme der Fortis-Bank.
Das eigentlich Tragische: Die Regierung ist quasi zu einer solchen Unterwürfigkeit verdammt. Welches Druckmittel hat die Regierung denn, etwa in den Verhandlungen mit GDF-Suez? Eine etwaige Drohung, man könnte den Aufschub des Atomausstiegs rückgängig machen und 2015 doch die drei ersten Meiler vom Netz nehmen, läuft ins Leere. Spätestens, seit Paul Magnette mal eben ohne Not publik gemacht hat, dass Belgien laut Experten die Atomkraftwerke braucht, um seine Energieversorgung zu gewährleisten und dass eine Verlängerung der Laufzeiten damit unabdingbar ist, hatte man sich ja der letzten Daumenschrauben beraubt.
Es ist schon viel darüber diskutiert und geschrieben worden, wie sträflich es war, dass Belgien den Ausverkauf der industriellen Kronjuwelen des Landes tatenlos hingenommen hat. Sogar in existentiell wichtigen Bereichen wie eben bei der Energieversorgung fallen die Entscheidungen nicht mehr in Brüssel, sondern im vorliegenden Fall in Paris.
Die Versprechen von einst, dass man sich natürlich immer seiner teilweise belgischen Wurzeln erinnern, dass eine belgische Verankerung bleiben werde, sind längst heiße Luft. Electrabel hat es nicht mehr nötig, der Brüsseler Politik zu gefallen, man will schlicht und einfach ein Maximum herausschlagen, und das eben auf Kosten der Bürger, die - nebenbei gesagt - die Atomkraftwerke bezahlt haben.
Gelernt hat man daraus in Belgien offensichtlich nichts. Jetzt könnte der einzige wirkliche Konkurrent von Electrabel, SPE-Luminus, ebenfalls in französische Hände übergehen. Beste Karten hat hier EDF, Electricité de France. Das Pikante: Sowohl bei GDF-Suez als auch bei EDF ist der französische Staat der Mehrheitsaktionär. EDF ist sozusagen ein reiner Staatsbetrieb. Ergo: Über die belgische Energiepolitik wird möglicherweise bald ausschließlich im Elysee-Palast entschieden.
In Paris legt man eben Wert auf nationale Interessen und genau hier liegt des Pudels Kern. Wirklich "nationale" Interessen gibt es in Belgien längst nicht mehr. Flamen und Frankophone sind derartig damit beschäftigt, sich gegenseitig ein Bein zu stellen, dass sie nicht merken, wie sehr sie sich selbst damit schaden.
Ob es dem einen oder anderen nun passt oder nicht: Wir sitzen immer noch in einem Boot. Und wer das Boot unbedingt leckschlagen will, der ist gut beraten, sicherzugehen, dass er es vorher verlassen hat. In jedem Fall sollte die Art und Weise, wie der Chef eines Multinationals mit dem Land und seinen Bürgern umspringt, ein weiterer Weckruf sein, auch nach dem Motto: Es gibt wichtigeres als BHV.
Unter Pariser Fuchtel - ein Kommentar
Für Premierminister Herman Van Rompuy war es die erste "Rede zur Lage der Nation". Zum ersten Mal stand er vor dem Parlament, um den Staatshaushalt vorzustellen. Das Budget gilt - und das ist eine Premiere - für die kommenden zwei Jahre. Auf diese Weise will man sicherstellen, dass die Haushaltssanierung auch wirklich vorankommt.