Was interessiert uns BHV?
Ob nun in Eupen oder in Brüssel, eins weiß jeder: die Deutschsprachige Gemeinschaft hat keine direkten Interessen in der Akte Brüssel-Halle-Vilvoorde. Ob der Wahl- und Gerichtsbezirk nun aufgespalten wird oder nicht, kein Deutschsprachiger wird deswegen irgendeinen Vorteil oder Nachteil erfahren. Und auch nicht die Deutschsprachige Gemeinschaft.
Das ist allerdings, und auch das leuchtet jedem ein, nur die halbe Wahrheit. Wenn der Konflikt selbst tatsächlich - vom Osten des Landes aus betrachtet - nicht nur geographisch sondern auch politisch meilenweit entfernt ist, so geht es hier doch nicht mehr und nicht weniger als um die übergeordneten Interessen des Staates.
Konkret: ohne neuen juristischen Bremsblock kommt die Akte wieder ins Rollen, wird der Gesetzesvorschlag losgeeist, der die Spaltung des Wahlbezirkes Brüssel-Halle-Vilvoorde vorsieht. Was dann passiert, das ist so vorhersehbar, als stünde es in einem Drehbuch: Der Text landet in Nullkommanix im Plenum der Kammer. Und über den Ausgang des Votums besteht kein Zweifel: eine rein flämische Mehrheit würde das Gesetz verabschieden, was automatisch das Ende der Regierung bedeuten würde.
Trübe Aussichten
Und ein Sturz der Regierung würde das Land wieder in die Existenzkrise stürzen, in genau die Lage manövrieren, aus der man sich quasi genau vor einem Jahr so gerade noch einmal mit Ach und Krach befreien konnte. Nicht nur, dass nach wie vor die Rahmenbedingungen nicht stimmen, um einen neuen, erfolgversprechenden Anlauf im Hinblick auf eine Staatsreform zu starten. Das Land kann sich eine neue Staatskrise in Zeiten der schwersten Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten schlicht und einfach nicht leisten. Hinzu kommt: ein Showdown wie der von 2007-2008 könnte das Land in die peinliche Lage bringen, den EU-Vorsitz Mitte 2010 ohne Regierung übernehmen zu müssen.
Ergo: einmal das Problem BHV in seinen Kontext gesetzt, geht es durchaus auch die Deutschsprachige Gemeinschaft etwas an, die als fester und vollwertiger Bestandteil dieses Bundestaates natürlich ebenfalls ein vitales Interesse an der politischen und institutionellen Stabilität des Landes hat. Und insofern wäre also ein von der DG geltend gemachter Interessenkonflikt, über den die Galgenfrist noch einmal verlängert würde, zwar rein rechtlich gesehen vielleicht - sagen wir mal - "grenzwertig", aber immer noch irgendwo legitim.
Das Zünglein an der Waage
Schön und gut, aber das ist immer noch allenfalls die halbe Wahrheit. Die DG kommt jetzt nämlich buchstäblich in Teufels Küche, wird in den fast schon apokalyptischen Sprachenstreit mit hineingezogen, was ihr einen wahren Eierlauf abverlangt, um sich vor keinen Karren spannen zu lassen und niemanden zu brüskieren.
Mag sein, dass die Position der DG als integraler Bestandteil des belgischen Staatsgefüges jetzt, da sie eine entscheidende Rolle zu spielen hat, noch einmal demonstriert und gefestigt wird. Doch muss man ehrlich sein: Das Ganze ist im wahrsten Sinne des Wortes zu viel der Ehre. Die Verantwortung, die man jetzt - wenn auch indirekt - der DG aufgebürdet hat, ist einfach zu groß. Hier geht es noch nicht einmal um die Frage, ob man der Sache in Eupen gewachsen ist oder nicht. Dass der DG jetzt gewissermaßen die Rolle des Retters in der Not zukommt, ist doch eigentlich nur der ultimative Beweis dafür, wie aussichtslos sich Flamen und Frankophone verrannt haben.
Die DG ist im vorliegenden Fall zwar nur ein klassischer Notstopfen. Wenn man aber am Ende den Eindruck haben muss, die Zukunft der Föderalregierung, vielleicht sogar Belgiens insgesamt, hänge nur noch an seinem mit Abstand kleinsten Bestandteil, dann sagt das doch viel über den Zustand des Landes aus.
Was, wenn nicht?
Vor diesem Hintergrund wäre es schon spannend, zu sehen, wie die Brüsseler Parteien denn reagieren würden, wenn die DG wider Erwarten nicht die nun ihr zugedachte Rolle spielen, wenn sie eben keinen Interessenkonflikt geltend machen würde. Legitim wäre nämlich auch eine solche Haltung. Erste Frage: hätten Flamen und Frankophone tatsächlich den Schneid, allen Ernstes der DG Pflichtvergessenheit vorzuwerfen? Damit würden sie sich nämlich im Grunde selbst ein Armutszeugnis ausstellen. Und, zweite Frage: würden es beide Seiten am Ende wirklich drauf ankommen lassen?
Give BHV back to the ... ?
Warum sollte denn nur die DG ein vitales Interesse daran haben, dass das Land in Krisenzeiten eine Regierung hat? Bevor man in Eupen im Sinne der famosen "übergeordneten Interessen des Staates" eine Suppe auslöffelt, die eine Handvoll Brüsseler Heißsporne dem ganzen Land eingebrockt hat, könnte man also durchaus zunächst einmal die eigentlichen Hauptakteure an ihre Verantwortung vor der Geschichte erinnern. Denn fest steht: Wenn die argumentative Zwangsjacke, in die sich die Brüsseler Streithähne - allen voran die Flamen - gezwängt haben, inzwischen so eng ist, dass am Ende nur noch die Deutschsprachigen staatsmännisches Verhalten an den Tag legen können, dann muss man keine Angst vor drastischen Aussagen haben: dann ist das Land nicht mehr zu retten.
Früher oder später wird man der Gretchenfrage ohnehin nicht mehr ausweichen können, die da lautet: "Hat Belgien noch eine Zukunft?". Und wenn's soweit ist, dann kann und darf es nicht sein, dass Flamen und Frankophone am Ende wieder die Deutschsprachigen dazu nötigen, die Frage zu beantworten.