Da wäre zunächst die Art und Weise: um 18.30 Uhr gibt Energieminister Magnette -sozusagen zwischen Tür und Angel- mal eben per Kommuniqué den Inhalt eines Berichtes bekannt, auf den man mit Spannung gewartet hatte: die Ergebnisse der so genannten GEMIX-Gruppe, die sich mit dem Energie-Mix der Zukunft befassen sollte. Und die Experten raten mal eben vom geplanten Atomausstieg ab. Und auf dieser Grundlage schlägt Magnette mal eben vor, das Abschalten der ersten Kernreaktoren um 10 Jahre zu verschieben. Es ist zwar bislang nur ein Vorschlag, Magnette's Vorschlag. Die anderen hätten sich auch schon zum Thema geäußert, hält Magnette seinen Kritikern entgegen. Doch haben die nicht gleich einen Bericht veröffentlicht, den man eigentlich zunächst in kleiner Runde hätte studieren müssen. Tatsächlich ging das Ganze offenbar so weit, dass die Regierung den Inhalt des Berichts sozusagen der Presse entnehmen musste. Bei einem so heiklen, sensiblen und noch dazu strategisch außerordentlich brisanten Thema hätte man sich insgesamt mehr Fingerspitzengefühl gewünscht. Es heißt, Magnette's Vorstoß wirke nur nach außen hin unbeholfen und schlampig; er habe damit vielmehr die Liberalen auf dem falschen Fuß erwischen wollen. Doch selbst wenn parteistrategische Erwägungen hinter dem Vorstoß stecken: der Führungsspitze von GDF-Suez hat er damit wertvolle Informationen auf dem Silbertablett serviert; die Franzosen müsse sich einmal mehr über die rustikalen Verhältnisse in Belgien, ihrer inzwischen Quasi-Dependance, totlachen. Die Verhandlungsposition der Regierung ist nämlich seit Magnette's Kommuniqué nicht unbedingt komfortabler. Die Regierung träumt ja davon, Electrabel und damit GDF-Suez zur Kasse zu bitten als Gegenleistung für eine Verlängerung der Laufzeiten. In Paris kann man jetzt aber dagegenhalten, dass Belgien doch schließlich die Kernreaktoren brauche; das stehe doch schwarz auf weiß im GEMIX-Bericht. Warum also sollten sich die Franzosen eine Laufzeitverlängerung erkaufen, wenn Belgien laut Expertenmeinung im Grunde gar nicht über andere Alternativen verfügt?
Womit wir beim Inhalt des Berichtes wären. Die Untersuchung hätte man sich nämlich eigentlich sparen können. Wenn die Regierungspartner jetzt auch die Verärgerten mimen, im Grunde sollten sie Paul Magnette dankbar sein. Er war es jetzt, der die undankbare Aufgabe übernommen hat und das kommuniziert hat, was man als den Gipfel der Heuchelei bezeichnen darf. Wenn der Atomausstieg 2003 beschlossen wurde, dann doch nur, um die Grünen zu kaufen, die die Abkehr von der Kernenergie zu ihrer Grundbedingung für eine Beteiligung an der späteren Regenbogenregierung gemacht hatten. Es ist offensichtlich, dass Liberale und Sozialisten den Atomausstieg nie ernsthaft in Erwägung gezogen haben. Oder ging etwa nach 2003 ein wirklich spürbarer Ruck durch die belgische Gesellschaft? Die erste Windkraftanlage der Wallonie stand nicht umsonst in Ostbelgien… Und nicht umsonst hielt ja schon seinerzeit das Gesetz, das den Atomausstieg besiegelte, eine Hintertür offen. Sinngemäß hieß es da, man werde natürlich nur dann die Meiler abschalten, wenn die Energiesicherheit auch wirklich gewährleistet ist. Man hätte Electrabel und Konsorten auch gleich sagen können, dass sie sich keine Sorgen machen müssen und getrost die Hände in den Schoß legen dürfen. Die Tinte unter dem Gesetz war noch nicht trocken, da wusste man eigentlich schon instinktiv, dass es nie umgesetzt werden würde. Und wenn Paul Magnette jetzt auch betont, man halte am eigentlichen Ziel fest; keine Sorge: 2020 wird es einen neuen Bericht geben, der dem Land bescheinigt, nicht über ausreichend alternative Energiequellen zu verfügen.
Hier geht es nicht darum, wie man nun im Einzelnen zum Atomausstieg steht. Vielmehr stellt sich hier einmal mehr die Frage nach der Glaubwürdigkeit der Politik. Man kann nicht strategische Weichenstellungen "à la légère" treffen, aus rein parteipolitischen Erwägungen heraus. "Die Grünen wollen den Atomausstieg, sollen sie ihn bekommen. Wenn sie einmal wieder in der Opposition sitzen, dann werden wir schon Wege finden, aus der Nummer rauszukommen". Das hat mit Politik nichts mehr zu tun, das ist unwürdiges Schmierentheater. Treffender, als die Leitartiklerin von "Le Soir" kann man es nicht formulieren: "Warum sollte sich eine Regierung, die nicht weiß, ob sie den Winter übersteht, mit dem Thema Atommüll herumschlagen?". Hier zeigt sich einmal mehr die Tendenz der Politik, nur den Moment zu sehen, langfristig zu erwartende Probleme einfach auszublenden. Richtig peinlich wird es aber erst, wenn man am Ende auch noch den Schneid hat, dann, wenn das Absehbare eintritt, auch noch den Überraschten zu mimen.
Atomkraft, Ja bitte! - Ein Kommentar
Der föderale Energieminister Paul Magnette hat in dieser Woche in ein Wespennest gestochen. In einem kurz und knapp gehaltenen Kommuniqué machte der PS-Politiker den Inhalt einer Untersuchung über den Energie-Mix der Zukunft öffentlich und formulierte auf dieser Grundlage auch gleich eine Empfehlung. Kurz zusammengefasst: der Minister schlägt vor, den für 2015 geplanten Beginn des Atomausstiegs zu verschieben. Umweltschützer gingen umgehend auf die Barrikaden, und auch innerhalb der Regierung hat Magnette mit seinem Vorstoß für Verstimmung gesorgt. Gleich, wie es kommt: Kopfschütteln ist nicht unangebracht, meint Roger Pint in seinem Kommentar...