Sommerpause. Urlaub. Mit Ausnahme eines fast schon bedauernswerten Justizministers konnte die hohe Politik nach zwei chaotischen Jahren endlich noch mal Luft schnappen. Es war denn auch ein erfrischend unpolitisches Sommerloch. Doch weiß jeder: es ist die sprichwörtliche Ruhe vor dem Sturm. Es wird ein heißer Herbst, und das zu allem Überfluss gleich in doppeltem Sinne.
Im Vordergrund steht an und für sich die Sanierung der Staatsfinanzen. In diesem Zusammenhang von einem Haushaltsloch zu sprechen, ist fast schon eine Verniedlichung; es ist ein Krater. Von einem Minus von 20 Milliarden Euro ist die Rede. Den Haushalt wieder auszugleichen, das wird mit Sicherheit kein Sommerspaziergang, das wird ein Triathlon. Und wenn sich bislang auch niemand angesprochen fühlt: jeder Bürger wird das in den nächsten Jahren zu spüren bekommen.
Die Gretchenfrage lautet also: wer muss wie viel beisteuern?
In der Regel verläuft in einem solchen Fall die Sollbruchstelle zwischen rechts und links, zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften. Das ist auch in Belgien nicht anders: die Gewerkschaften und auch die linken Parteien machen sich zum Anwalt der Sozialen Sicherheit: der kleine Mann dürfe keinesfalls bestraft werden, man soll sich das Geld da holen, wo es ist. Die Arbeitgeber, eben noch aus dem Mund des FEB-Geschäftsführers Rudi Thomaes, sagen gewissermaßen genau das Gegenteil: Hände weg von der Steuerschraube, stattdessen sollte man die Soziale Sicherheit nach Spielräumen durchforsten.
Ausgaben beschneiden oder doch Einnahmen steigern? Die Wahrheit liegt bekanntlich in der Mitte. Bislang ist auf beiden Seiten allerdings noch nicht die Bereitschaft zu erkennen, heilige Kühe zu schlachten. An einer Kraftprobe wird wohl kein Weg vorbeiführen.
Das allein würde ja schon reichen. Ein Sparprogramm auszubaldowern, in dem sich sowohl Ottonormalverbraucher als auch Unternehmer wiederfinden kann -wenn auch zähneknirschend- das kommt eigentlich schon in einem normalen Land der Suche nach der Quadratur des Kreises nahe.
Wie gesagt: in einem 'normalen' Land. Ob normal oder nicht normal, fest steht: in Belgien droht sozusagen zeitgleich und parallel auch noch der gemeinschaftspolitische Showdown. Bislang sind es nur Drohgebärden: In Flandern macht eine neue Idee die Runde: "Wenn die Frankophonen immer betonen, sie hätten an einer Staatsreform kein Interesse, dann muss man eben dafür sorgen, dass auch sie 'fragende Partei' sind". Und wie macht man das: indem man sie am langen Arm verhungern lässt, finanziell trockenlegt.
Das Vorspiel kam jedenfalls schon zur Aufführung: Flandern hat nicht umsonst angekündigt, seinen Haushalt schon wieder 2011 ins Gleichgewicht bringen zu wollen. Im Norden des Landes weiß man, dass die Wallonie und Brüssel das nicht wollen, bzw. auch nicht dazu in der Lage sind. Die Daumenschrauben sind also schon vorbereitet.
Zum Einsatz könnten sie dann auch schon bald kommen. Der Föderalstaat allein wird das Haushaltsloch nicht stopfen können; jeder Teilstaat wird seinen Teil beisteuern müssen. Müssen? Die Vergangenheit hat es gezeigt: Flandern hat einen Beitrag zum föderalen Haushalt beim letzten Mal schon von Bedingungen abhängig gemacht. Im Klartext: das Geld wird erst überwiesen, wenn eine Reihe von institutionellen Forderungen erfüllt ist.
Während also anderswo alle verfügbaren Energien in die Überwindung der Wirtschafts- und Haushaltsmisere gesteckt werden, droht hierzulande ein Remake der Krise von 2007-2008. Und vielleicht ist das auch nur ein Euphemismus. Geld und Gemeinschaftspolitik, das verhält sich nämlich wie Schwefel und Salpeter: zusammengerührt ergibt das ein explosives Gemisch. Dem Land drohe jetzt endgültig die Zerreißprobe, warnen Beobachter, wobei das hier wörtlich verstanden werden muss. Um die Krise zu überwinden, müssen sich Flamen und Frankophone zusammenraufen. Was aber, wenn das nicht mehr funktioniert? Nicht umsonst hat der Wallonische Ministerpräsident Rudy Demotte eine Charmeoffensive in Richtung Flandern unternommen: "Wir sind nicht Eure Feinde", wandte er sich in einer Zeitung an die Flamen. Schlimm genug, dass man das inzwischen schon betonen muss…
Keine Frage: dieses Land braucht eine institutionelle Neuordnung. Nur muss das ausgerechnet jetzt sein? Die letzten Monate haben gezeigt, dass ein konstruktiver institutioneller Dialog derzeit offensichtlich unmöglich ist, da er letztlich immer nur aus Drohgebärden und Deadlines besteht. Alles, was dabei herausspringt, ist politische Lethargie. In Normalzeiten kann das mitunter vielleicht noch als strategisches Mittel durchgehen: politischer Stillstand als Beweis dafür, dass ein Zusammenleben nicht mehr möglich und mehr Autonomie nötig ist. Nur stecken wir gerade in der schlimmsten Krise seit Jahrzehnten; und auch darüber hinaus mangelt es nicht an Baustellen, man denke nur an das skandalös vernachlässigte Justizwesen. Nach dem zweijährigen Trauerspiel, wo die Politik eindrucksvoll bewiesen hat, dass kein Tiefpunkt tief genug ist, kann die Botschaft jetzt nur lauten: "Es reicht!".
Um es mal so auszudrücken: Ob es dem einen oder anderen nun passt oder nicht, wir sitzen eben immer noch im selben Boot. Und das ist in einem derart schlechten Zustand, dass auch der glühendste Nationalist einsehen sollte, dass es Wichtigeres gibt als Brussel-Halle-Vilvoorde.
Aus der Krise in die Krise - Ein Kommentar
Die politische Sommerpause neigt sich dem Ende zu. In einigen Teilstaaten haben die Regierungen schon wieder ihre Arbeit aufgenommen. Ab jetzt steht alles im Zeichen der Haushaltssanierung; und alles läuft auf den zweiten Dienstag im Oktober hinaus. Dann wird Premierminister Herman Van Rompuy aller Voraussicht nach im Parlament seine Regierungserklärung verlesen. Und darin sollten auch die Leitlinien des Staatshaushaltes für das kommende Jahr enthalten sein. Schon jetzt ist klar: es wird ein mehr oder weniger drastisches Sparprogramm. Bis das allerdings in trockenen Tüchern ist, ist es noch ein langer steiniger Weg, der durchaus auch in einer Sackgasse enden kann, meint Roger Pint in seinem Kommentar...