Zum selben Zeitpunkt hat das Planbüro seine Prognosen derweil noch einmal nach unter korrigiert. Stimmen die Vorhersagen, dann könnten 2011 hierzulande 800.000 Menschen ohne Job sein. Die Regierungen werden so gut wie keinen Spielraum haben.
In der Wallonie droht innerhalb des frisch gepflanzten Olivenbaums schon jetzt der erste Streit über den Haushalt. Und zu allem Überfluss könnte das Ganze noch eine gemeinschaftspolitische Note bekommen.
Was muss eigentlich noch passieren, damit die entscheidenden Akteure in diesem Land endlich aufwachen? Oder ist es ein falscher Eindruck, wenn man das Gefühl hat, dass ein Haus brennt, und dass das die Verwalter nicht weiter interessiert?
Die Zeitung "La Libre Belgique" brachte es unlängst auf den Punkt: "Meine Damen und Herren", richtete sich der Leitartikler an die politische Klasse in diesem Land. "Nur zu Ihrer Information: Es ist nicht so, dass das Wasser steigt, vielmehr geht das Schiff unter!".
Tatsächlich scheint man sich hierzulande hinter der Krise zu verstecken. Frei nach dem Motto: Allen geht es doch schlecht, warum sollte es uns denn besser gehen? Das ist vielleicht nicht falsch, rechtfertigt dafür aber immer noch keine glatte Untätigkeit.
Wie schallend muss denn die Ohrfeige von der EU-Kommission ausfallen, damit sich hierzulande jemand angesprochen fühlt. EU-Währungskommissar Almunia hat Belgien und seinem haushaltspolitischen Fahrplan für die nächsten Jahre ganz klar die Note "ungenügend" gegeben. Als er gefragt wurde, was denn fehle, meinte Almunia nur ungewohnt ironisch: Es wäre vielleicht einfacher, aufzuzählen, was nicht fehlt.
Die - fast schon naive - Antwort aus Belgien: "Wir hatten der Kommission doch mitgeteilt, dass wir noch nicht über alle nötigen Daten verfügen". Wenn man aber weiß, dass Belgien sein Stabilitätsprogramm schon mit sechsmonatiger Verspätung eingereicht hatte, dann darf die Verärgerung bei der Kommission doch nicht verwundern.
Und wer ist schuld? Das ist es ja: alle! Mit einigen wenigen Ausnahmen.
Tatsächlich ist das Land einmal mehr - oder wahlweise: "noch immer" - vom Kopf bis an die Fußsohlen gelähmt.
Erstens: Mit Ausnahme der DG stecken alle Teilstaaten noch in Koalitionsverhandlungen. In der Wallonie nimmt das Ganze aber inzwischen surrealistische Züge an. Es ist offenbar partout nicht möglich, einen Kassensturz zu machen. Im Augenblick schwanken die Schätzungen zwischen 250 Millionen und 850 Millionen Euro. Als wären 600 Millionen allenfalls gleichbedeutend mit der Portokasse.
Die Grünen geben offenbar dem scheidenden Haushaltsminister Michel Daerden die Schuld an dem Chaos. Entweder gebe es da Leichen im Keller, oder aber Daerden mache die Sache mit Absicht kompliziert, um sich im Hinblick auf die nächste Regierung gleich als unabdingbar zu empfehlen, sagt man bei Ecolo hinter vorgehaltener Hand.
In jedem Fall darf es aber erlaubt sein, sich die Frage zu stellen, ob überhaupt ein Pilot am Steuerknüppel sitzt, wenn noch nicht einmal jemand weiß, wie viel Sprit denn nun im Tank ist.
Die Frankophonen wollen ihre Regierungen spätestens am Nationalfeiertag unter Dach und Fach haben. "Na dann viel Spaß", wäre man geneigt zu sagen, wenn die Lage nicht so ernst wäre.
Da wartet nämlich dann gleich ein zweites und noch viel schwierigeres Problem: Das Kooperationsabkommen, dass die haushaltspolitische Lastenverteilung zwischen dem Föderalstaat und den Teilstaaten regelt, muss neu verhandelt werden. Das ist auch der eigentliche Grund, warum der EU-Kommission die nötigen Daten fehlten.
Kurz zusammengefasst wird in dem Kooperationsabkommen festgeschrieben, wie viel Geld die Teilstaaten vom Föderalstaat bekommen. Bzw. nicht bekommen. Der längst klamme Föderalstaat bittet die Teilstaaten nämlich um einen Beitrag, um den Haushalt wieder unter Kontrolle zu bekommen.
Und genau wegen dieses Beitrages, den jeder zu leisten haben wird, drohen die Verhandlungen über das neue Kooperationsabkommen zu einer Wiederauflage der politischen Krise von 2007 zu geraten. In flämischen Nationalistenkreisen macht nämlich eine gefährliche Theorie die Runde.
Quintessenz: Flandern verweigert dem Föderalstaat jegliche Hilfe, schnürt den Frankophonen wo es nur geht die Luft ab, bis auch der südliche Landesteil fragende Partei im Hinblick auf eine Staatsreform ist. Das ist - zumal in Krisenzeiten - so perfide, dass der Leitartikler von Het Laatste Nieuws Erfinder und Anhänger der Doktrin sogar schon deswegen einsperren wollte. Einer der Verfechter dieser Strategie ist übrigens, wer hätte es gedacht, N-VA-Chef Bart De Wever, der derzeit in Flandern mit am Verhandlungstisch sitzt.
Das heißt also im Klartext: Ein neues Kooperationsabkommen könnte zu einer Schwergeburt werden, und das ist noch untertrieben. Und ohne Kooperationsabkommen ist es für die Föderalregierung fast ein Ding der Unmöglichkeit, einen Haushalt auszuarbeiten. Nicht umsonst hat Premierminister Herman Van Rompuy alle Beteiligten eindringlich zur Besonnenheit aufgerufen. Die Stimmen der Weisen werden aber hierzulande längst überhört.
Und wenn man dann noch die dramatischen Prognosen hört, dann ist es fast schon zum Verzweifeln. Die Arbeitslosigkeit wird demnach in zwei Jahren ein Rekordhoch erreichen, der Konjunkturmotor wird später anspringen, als ohnehin schon befürchtet, und - langfristiger - die Vergreisung der Bevölkerung wird deutlich teurer als gedacht.
Bei all dem haben einige Politiker in diesem Land also nichts Besseres zu tun, als über Staatsreformen nachzudenken. Auch das Thema Brüssel-Halle-Vilvoorde ist schon wieder in den Startlöchern. Und nicht vergessen: in zwei Jahren wird schon wieder gewählt. Beim letzten Mal hat der Wahlkampf zwei Jahre gedauert ...
Nicht nur, dass kein Politiker den Bürgern reinen Wein einschenkt - das Wort Sparmaßnahmen ist tabu, es droht auch noch ein Streit über die Möbel. Dass das Feuer inzwischen schon den Dachstuhl zu erreichen droht, ist offensichtlich das kleinste Problem.