Es war ein echtes Ereignis, die abschließende Debatte zu den Gemeinschaftswahlen. Über 500 Menschen im überfüllten Saal Bosten in Eupen erlebten einen zweieinhalbstündigen Austausch von Meinungen, Gedanken und Ideen. Die sechs Spitzenkandidaten redeten überwiegend Klartext - zumindest gab es eindeutige Antworten auf eindeutige Fragen. Der Wähler weiß nun entschieden mehr über die möglichen Folgen seiner zu treffenden Wahl. Beispielsweise: Wenn die bestehende Koalition am Kaperberg zusammen auf die Mehrheit von mindestens 13 Stimmen kommt, wird nach dem 7. Juni die alte Regierung ihre Arbeit fortsetzen. Das bekräftigten ohne Wenn und Aber Ministerpräsident Lambertz für die SP, Ferdel Schröder für die PFF und Unterrichtsminister Oliver Paasch für die PDB-Nachfolgepartei ProDG. Genauso klar formulierten Lambertz und Schröder ihre Unabhängigkeit von Di Rupo oder Reynders. Will heißen: Selbst wenn es aus den wallonischen Parteizentralen ein Diktat gäbe, man würde es negieren. Dass sich Rot-Blau in der Wallonie nicht formieren wird, ist klar, aber in Ostbelgien schafft das nach den Aussagen der Protagonisten keine Probleme. Auch nicht mit Blick auf die angestrebten Kompetenzübertragungen von Wohnungsbau und Raumordnung. Die DG-Verantwortlichen fühlen sich offensichtlich stark genug, diesen in Ostbelgien parteiübergreifenden Konsens durchzusetzen - egal, wie die Machtverhältnisse in Namür sein werden.
Und dann noch dies: Die bei der Debatte von SP, PFF und ProDG demonstrativ zur Schau gestellte Einigkeit lässt die anderen drei, CSP, Ecolo und Vivant, näher zusammenrücken; Die CSP-Spitzenkandidatin Patricia Creutz, die zum ersten Mal deutlich ihre Anwartschaft auf das Amt des Ministerpräsidenten erklärte, äusserte frank und frei, sie könne sich eine solche Konstellation vorstellen. Und sie sagte das unter dem freundlichen Beifall des sichtlich überraschten Vivant-Spitzenkandidaten Michael Balter. Ecolos Nummer eins, Franziska Frantzen, hatte zuvor bereits unmißverständlich klargemacht, dass die Grünen auf keinen Fall einer Regierung mit vier Ministern beitreten würden. Also: Absage an SP, PFF und ProDG. Bleiben also nur noch CSP und Vivant, die die Ministerzahl reduzieren wollen, als mögliche Ecolo-Koalitionspartner.
Damit sind in Sachen Partei- und Wahlarithmetik die Konturen herausgearbeitet. Inhaltlich bleiben unterdessen zum Teil signifikante Unterschiede. Auch wenn aus Zeitgründen nicht alle wichtigen politischen Bereiche tiefgreifend diskutiert werden konnten auf der Debatte: dem aufmerksamen Beobachter blieb nicht verborgen, wie grundlegend unterschiedlich die Anschauungen von Mehrheit und Opposition sind. Am deutlichsten wurde das beim Thema Schuldenentwicklung. Verkraftbar und stemmbar, sagen die derzeit noch Verantwortlichen, untragbar und unverantwortlich sind die für das Jahr 2014 prognostizierten 200 Millionen Schulden vor allem für CSP und Vivant.
Der Wähler ist gut beraten, aufmerksam die Wahlprogramme zu studieren, ein bisschen Recherchearbeit zu leisten und zu überprüfen, was politische Leistungen ausmacht und wer welche Defizite offenbart. Aber letztlich wird es sein wie immer: natürlich entscheiden nicht vorrangig die Inhalte, sondern vor allem die Köpfe, die für sie stehen. Und da geht es um Werte wie Glaubwürdigkeit, Verlässlichkeit und Kompetenz. Wer's dann noch rhetorisch drauf hat und einen guten, charmanten Eindruck hinterlässt, der dürfte, der müsste das Rennen machen. Der Wähler darf am Sonntag seine Stimme abgeben; was die Gemeinschaftswahl betrifft, so weiß er vorher schon ziemlich genau, welche anderen Parteien er mitwählt, wenn er für seinen Favoriten votiert. Eine Unsicherheit bleibt: In der Politik ist nie auszuschließen, dass jemand umfällt. Insofern bleibt es dann doch bis zuletzt spannend. Auch aus einem anderen Grund: weil es ganz knapp werden könnte zwischen den einzelnen Lagern.
Der Tag der Wahlen in Belgien - Ein Kommentar
Sonntag, siebter Juni: der Tag der Wahlen in Belgien. Der Wähler hat das Wort - gleich dreimal darf er seine Stimme abgeben: für Europa, die Region und die Gemeinschaft. Während das ganze Land unter Staats-, Finanz- und Wirtschaftskrise leidet, findet ein Urnengang statt, der zunächst sicherlich keine staatstragende Bedeutung hat. Dennoch, es steht einiges auf dem Spiel - vor allem in der Deutschsprachigen Gemeinschaft.