Und dass es nicht immer vorteilhaft ist, prominentes Mitglied einer erfolgreichen Band zu sein. Was die junge Frau, die HIV-positiv sein und ihre Liebhaber darüber in Unkenntnis gelassen haben soll, noch gedacht hat, ist ungewiss, es sei denn, Reporter denken sich was aus.
Denn Medien, aber auch die Politik verfolgen eigene Ziele. Auch in Belgien.
"Society-Reporterin" heißt der grauenhafte neudeutsche Begriff für Klatschreporterin. Am ersten Tag der Festnahme schmachtete eine solche für den Audiodienst der dpa. Am zweiten Tag war die Vorgeschichte der Festnahme in der Frankfurter Allgemeinen zu lesen, mit den Deutschfehlern und Unflätigkeiten in den anonymen E-Mails.
Die Frankfurter brachte die Darstellung der Fakten immerhin auf der Edelseite "Deutschland und die Welt". Und das nicht zu unrecht, betrifft die Festnahme doch, wie auch die dpa schließlich feststellte, Reizworte wie Sex, Staatsgewalt, Verantwortung, Schuld und Sühne, und nicht zuletzt Unschuldsvermutung.
Da kann selbst Joseph Ratzinger nicht mehr mithalten. Trotz der geballten Energie, die er mit seiner durchaus diskutablen und gewagten, aber dafür nicht per se abwegigen These entfesselt hat, die er nuanciert in den Raum gestellt hat, und die in den wenigsten Pressemeldungen in ihrer Gänze wiedergegeben wurde.
Die Energie entfesselte sich bis hin ins belgische Parlament, wobei sich die Senatoren inzwischen schon bis zu dem wagemutigen Begriff des "Verbrechens gegen die Menschlichkeit" vorgewagt haben und mutig auf die "Dringlichkeit der Beschlussfassung" drängen. So als ob der Mann aus Rom Streetworker oder Gesundheitsminister wäre.
Der Mann vertritt eine Sexualmoral, von der er glaubt, dass sie bei der globalen Bekämpfung der afrikanischen Pandemie mehr Wirkung zeige, als der alleinige Focus auf den individuellen Gummischutz. Bei letzterem hält es der Mann aus Rom für nicht ausgeschlossen, dass er, global gesehen, also epidemiologisch, kontraproduktiv wirken könne. Das also mobilisiert das Parlament eines Landes, dessen Stolz einmal die Meinungsfreiheit war.
Die ins Feld geführte Sorge für die Afrikaner lässt verräterisch an die frühere Kolonialmentalität denken. Als ob die Afrikaner die Thesen des Kirchenoberen nicht selbst beurteilen könnten.
Da ist der Fall Nadja Benaissa schon von einer anderen Qualität: Wo ist die Schamgrenze der Medien? Mit Sicherheit in weiter Ferne. Wie positioniert sich der Rechtsstaat? Nun, Gefährdung allein kann rechtsstaatlich durchaus einen Straftatbestand darstellen, jede Alkohol- oder Radarkontrolle auf den Straßen lebt davon, auch ohne Übertretung und bei strikter Beachtung der Verkehrsregeln.
Dafür muss diese Rechtstechnik ja auch mit äußerster Vorsicht eingesetzt werden, um den Rechtsstaat nicht zu gefährden, was leider nicht immer der Fall ist. Den Vogel abgeschossen bei der Beutelung dieses Rechtsprinzips hat kürzlich im Königreich der Volksunie-Überläufer Vankrunkelsven, der doch tatsächlich Rauchen in den eigenen vier Wänden unter Strafe stellen wollte. Der innerfamiliären Denunziation wäre Tür und Tor geöffnet.
Das war dann auch De Gucht und seiner Partei, der Vankrunkelsven inzwischen angehört, nicht geheuer. Die einzigen, für die das Prinzip "Gefährdung = Straftat" nicht zu gelten scheint, sind die Banker, die Tausende Bürger mit hohlen Produkten geködert haben und wo sich die Prüfung der Frage, ob dies den Straftatbestand des Betrugs erfülle, doch geradezu aufdrängen müsse.
Richtig, in dieser Woche ließ die Justiz verlauten, die Anzeige eines Professors aus Perpignan zu bearbeiten, man darf gespannt sein, wann sie zu den Akten gelegt wird. In der Tat, da ist die Resolution von Kammer und Senat in Richtung Rom schon schlagzeilenträchtiger.
Weitaus witziger erschien folgender Cartoon: Vier Schwarze rudern einen Einbaum. Vorne sitzt Ratzinger. Hinten steht Bischof Williamson. Und der sagt in seine Sprechblase: "Aids, das hat's doch nicht gegeben". Diese Karikatur hatte Esprit. Die Resolution der Parlamentarier wirkt dagegen wichtigtuerisch und blass.