Was in Belgien mit den Menschen ohne Papiere geschieht, geht einfach zu weit. Darüber ist sich inzwischen eine große Mehrheit der Bevölkerung einig. Waren es zunächst nur einige linksprogressive Organisationen, die für eine Regularisierung unter Anmahnung der Menschenrechte eintraten, so melden sich inzwischen immer mehr Befürworter - wie die Kirche, die Magistratur, die Hochschulen, die Arbeitgeber und die Gewerkschaften - mit dem Standpunkt, dass es so nicht weitergehen kann.
Da leben also bei uns einige zehntausend Ausländer, viele von ihnen schon fünf bis zehn Jahre, die sich vorbildlich integriert haben, die Sprache ihrer Region sprechen, zur Schule gehen oder einen Beruf ausüben, und trotzdem müssen sie täglich damit rechnen, als Illegale des Landes verwiesen zu werden.
Zu einem gewissen Teil sind sie selbst daran schuld, denn viele kamen nach Belgien und haben nie einen Asylantrag gestellt. Andere taten es wohl, erhielten eine Absage und sind trotzdem geblieben. Und jetzt verlangen sie eine Regularisierung ihrer Situation, ein definitives Bleiberecht.
Vor den Wahlen passiert nichts mehr
Dass die von der Regierung vor einem Jahr versprochenen Kriterien zur Entscheidung in dieser Frage noch immer auf sich warten lassen, hat politische und vor allem wahltaktische Gründe.
Die frankophonen Parteien, PS, cdH und Ecolo, plädieren für eine möglichst umfassende Regularisierung, von der sie sich mittel- bis langfristig neue Wähler versprechen.
Auf der anderen Seite stehen die Liberalen - insbesondere die flämischen Liberalen der OpenVLD - auf der Bremse, weil sie befürchten, bei einer großzügigen Handhabung dieses Problems von ihren Wählern abgestraft zu werden. Dass man in Flandern nicht gerade ausländerfreundlich ist, dürfte bekannt sein.
Trotzdem muss es zwischen diesen beiden Extremen so etwas wie einen goldenen Mittelweg geben, eine Art belgischen Kompromiss.
Eine Regelung, die einer Politik der offenen Grenzen gleichkäme, ist natürlich keine Lösung. Dadurch würde, wie die Liberalen richtig erkannt haben, ein Ansaugeffekt kreiert, der weitere zehntausende Ausländer anlocken würde, so dass in einigen Jahren bereits die nächste große Regularisierung nötig wäre.
So geht es natürlich nicht, zumal Belgien es sich als kleines Land tatsächlich nicht leisten kann, dem Elend dieser Welt Tür und Tor zu öffnen. Doch das verlangt eigentlich auch niemand. Wohl aber verlangen die Menschen ohne Papiere und ihre Sympathisanten, dass die Regierung endlich die Kriterien bekannt gibt, auf deren Grundlage über das Bleiberecht entschieden wird. Und das müsste bei etwas gutem Willen selbst drei Monate vor den Wahlen möglich sein, zumal die Einlösung dieses Versprechens längst überfällig ist.
Und wenn man sich zurzeit in der Regierungsmehrheit nicht über alle Kriterien einigen kann, so könnte man doch zumindest schon mal festhalten, dass jene, die zum Beispiel seit mindestens fünf Jahren problemlos bei uns leben und in der Lage sind, selbst für sich aufzukommen, ein Aufenthaltsrecht bekommen.
Damit wäre einigen Tausenden schon mal geholfen. Über die schwierigeren Grenzfälle könnte man dann ja nach der Juni-Wahl entscheiden, wenn das Wählerurteil den Parteien nicht mehr wie ein Damoklesschwert über dem Kopf hängt.
Allerdings muss dann auch klar sein, dass, wer aufgrund der neuen Kriterien abgelehnt wird, das Land auch tatsächlich verlassen muss. Untertauchen und in einigen Jahren wieder auf Regularisierung pochen, muss definitiv unmöglich werden.
Tatsache ist: Auch Menschen ohne Papiere sind immer noch Menschen, und Belgien sollte sich endlich aufraffen, sie als solche zu behandeln. Das sind wir nicht nur den Prinzipien der Demokratie, sondern auch denen der Menschenwürde schuldig.