Und ab Montag geht es richtig ans Eingemachte: Dann werden die Spitzen der Regierung Leterme angehört, die ja vor Weihnachten über die Fortis-Gate-Affäre gestolpert ist. Nicht nur Yves Leterme muss dann aussagen, sondern vor allem auch der damalige und heutige MR-Finanzminister Didier Reynders.
Spätestens dann wird sich zeigen, wie stabil die derzeitige Mehrheit ist. Und für so manchen ist die Versuchung groß, die Regierung gegen die Wand fahren zu lassen. Doch geht es längst um mehr, als nur die Gefahr einer neuen Regierungskrise, ...
Die Büchse der Pandora
Die Büchse der Pandora droht der Regierung in der Hand zu explodieren. Anfang kommender Woche kommt es im Untersuchungsausschuss über die Fortis-Gate-Affäre zum Showdown. Am Montag hat Yves Leterme seinen großen Auftritt vor dem Ausschuss - jener "Mister 800.000-Vorzugsstimmen" Yves Leterme, dessen politische Zukunft davon abhängt, ob ihn das Gremium vom Vorwurf der Einflussnahme reiner als rein wäscht.
Die Vergangenheit hat es gezeigt: Yves Leterme ist, diplomatisch ausgedrückt, unberechenbar. Nicht auszuschließen ist, dass er sich selbst in den Fuß schießt - denkbar ist auch, dass er versuchen wird, andere mit in den Abgrund zu reißen.
Ebenfalls mit Hochspannung erwartet: Der Auftritt von Vize-Premier und Finanzminister Didier Reynders vor dem Untersuchungsausschuss. Lange hat die MR es hinter den Kulissen zu verhindern versucht, aber jetzt wird Didier Reynders doch angehört. Das soll ebenfalls am Montag passieren. Zwar werden auch die anderen Mitglieder des Kernkabinetts der Regierung Leterme vor dem Gremium aussagen müssen: Reynders ist aber derjenige, der am stärksten exponiert ist.
Hier wird nicht so sehr der Inhalt im Vordergrund stehen: Der aalglatte MR-Chef ist zu gewieft, um sich von den Parlamentariern ernsthaft in Verlegenheit bringen zu lassen - vielmehr wird die Anhörung zeigen, wie stabil die Koalition in dieser Vorwahlzeit wirklich ist.
Krieg der Parteien
Seit Monaten führen Liberale und Sozialisten einen gnadenlosen Grabenkrieg, bei dem es um jeden Millimeter geht. Und es ist ein offenes Geheimnis, dass die PS davon träumt, den Finanzminister im Untersuchungsausschuss an den Pranger zu stellen. Gerade bei der PS dürfte die Versuchung groß sein, Didier Reynders erst zum großen Stümper und dann zum schlechten Verlierer zu stempeln, der notfalls tief in die Trickkiste greift, um seinen Willen durchzusetzen.
Die MR wird das mit allen Mitteln zu verhindern suchen. Kein Zweifel: Anfang nächster Woche droht der Koalition die vielleicht ultimative Zerreißprobe. Viel hängt jetzt also davon ab, ob eine Partei irgendwann den Eindruck hat, im Hinblick auf die nächste Wahl entscheidend im Vorteil zu sein - und diese Partei könnte dann der Regierung den Stecker rausziehen.
Das wäre dann ein neuer Höhepunkt in der belgischen Regimekrise. Spätestens dann würde sich aber noch eine andere Schlussfolgerung aufzwingen: Diese Regimekrise beschränkt sich längst nicht mehr auf den Sprachenstreit - die belgische Demokratie insgesamt ist krank.
Die Fortis-Gate-Affäre war ja an sich schon peinlich genug: Jetzt droht zudem der Untersuchungsausschuss, der die Sache durchleuchten soll, an seinen hehren Zielen vorbeizuschlittern. Eigentlich sollten die Parlamentarier die Achtung der Gewaltenteilung mit dem Flammenschwert verteidigen, das Fundament der Demokratie betonieren. Stattdessen stand das Gremium von Anfang an im Zeichen der anstehenden Wahl, war die Arbeit der Kommission von Anfang an von politischen Strategiespielchen durchsetzt. Der Untersuchungsausschuss wird zudem von einigen altbekannten Selbstdarstellern als Show-Bühne missbraucht.
Restvertrauen wird geraubt
Dass man bei aller Profilierungssucht und bei allem Taktieren einen ganzen Staat in der Unterhose dastehen lässt, dass damit dem interessierten Bürger mitunter das letzte Restvertrauen genommen wird, ist eine Nebenwirkung, die offenbar die Volksvertreter billigend in Kauf nehmen.
Man muss mit ansehen, wie sich die höchsten Vertreter der Justiz in entscheidenden Punkten widersprechen, wie sich der höchste Magistrat des Landes selbst als naiv bezeichnet, wie sich die höchsten Vertreter des Brüsseler Appellationshofes sogar gegenseitig Erpressung vorwerfen, wie offen die Frage nach der politischen Couleur einzelner Justizvertreter gestellt wird - da mag man gar nicht an Montag denken wollen, wo die Schlammschlacht endgültig die politischen Sphären erreichen wird.
Allein die Tatsache, dass neben einem Ex-Premier fast alle amtierenden Vizepremiers vor dem Ausschuss aussagen werden, macht aus dem Ganzen an sich schon eine Staatsaffäre.
Oft ist es so, dass eine Demokratie an einer Staatsaffäre nur wachsen kann - das aber nur unter der Voraussetzung, dass diese Demokratie eben nicht schon unter einem handfesten Glaubwürdigkeitsproblem leidet. Endlose Diskussionen über Brüssel-Halle-Vilvoorde und Staatsreform lassen die Politik längst realitätsfern erscheinen - zumal sogar eine handfeste Wirtschaftskrise die gemeinschaftspoltischen Probleme nicht gänzlich von der Agenda verdrängen kann.
Der Glaube ist dahin
Und angesichts des Trauerspiels im Fortis-Untersuchungsausschuss kann man es den Bürgern nicht verdenken, wenn sie zu einem für die Demokratie äußerst ungesunden Fazit gelangen: Den Stützpfeilern der Demokratie, der Politik und der Justiz, kann man nichts mehr glauben.
Die Mitglieder des Untersuchungsausschusses sollten sich eins vor Augen führen: Selbstheilung kann paradoxerweise in Selbstzerfleischung ausarten. Steht die Demokratie in diesem Land am Ende wirklich besser da, wenn die Eliten aus Politik und Justiz im Rahmen eines peinlichen Schmierentheaters nacheinander am Pranger gelandet sind? Die Parteien schmoren allesamt im eigenen Saft, denken nur an den Wahlkampf - und merken dabei nicht, dass am Ende vielleicht die Bürger nur noch zur Wahl gehen, weil sie es müssen.