Angesichts der tiefen Meinungsverschiedenheiten unter den 27 Mitgliedstaaten rechnen Diplomaten mit wenig konkreten Ergebnissen.
Die Krise zeigt die Schwächen der EU auf: Viele EU-Staaten neigen dazu, ihre Interessen in den Vordergrund zu stellen und damit europäische Lösungsansätze zu blockieren. Die EU könnte also in diesen Krisenzeiten schon bald mit der größten Bewährungsprobe ihrer Geschichte konfrontiert werden.
"L'Europe sera belge ou ne sera pas"
Nur ein in gewisser Weise "belgisches" Europa kann auf Dauer bestehen, das sagte einmal der flämische Publizist Geert van Istendael. Der "compromis à la belge" als Fundament für die EU.
Allerdings scheint van Istendaels Formel auch umgekehrt zu gelten. Konkret: Die belgo-belgischen Probleme lassen sich derzeit ohne weiteres auf die EU übertragen. Das derzeitige Trauerspiel auf EU-Ebene ist für den geneigten belgischen Beobachter jedenfalls nichts Neues.
In Belgien ist der Föderalstaat längst zum Moderator zwischen den beiden großen Sprachgruppen mutiert, muss die Interessen von Flamen und Wallonen unter einen Hut bekommen. Und das ist längst in eine ständige Suche nach der Quadratur des Kreises ausgeartet.
Was für den Süden des Landes wünschenswert wäre, ist im Norden möglicherweise kontraproduktiv. Und mit einem bisschen bösen Willen kann man in jeder föderalen Maßnahme irgendetwas finden, was den eigenen Interessen widerspricht.
Beispiel 1: das Gerangel um das föderale Konjunkturprogramm
Weil es - überspitzt formuliert - in irgendeinem Unterkapitel eines x-ten Unterpunktes des Konjunkturprogramms eine Maßnahme gab, die den flämischen Interessen nicht dienlich war, zögerte Flandern nicht lange und legte gleich den kompletten Plan auf Eis.
Konkret: Das flämische Parlament setzte die Prozedur des Interessenskonflikts in Gang. Dies erfolgte mit auch mit den Stimmen von CD&V und Open-VLD, also den föderalen Regierungsparteien, die den Plan mit ausgearbeitet hatten.
Wenn das Problem auch letztlich schnell gelöst war - diese Episode spricht Bände. Klar, dass es Flandern nicht nur um den Inhalt ging. Es ging ums Prinzip. Die Botschaft: Die Situation in den Teilstaaten ist so verschieden, dass besagte Teilstaaten sich eigentlich nur selbst helfen können, indem man ihnen also ein Höchstmaß an Zuständigkeiten überlässt.
Über die Richtigkeit dieser Argumentation kann man streiten. Erschreckend ist, dass man offensichtlich nicht zögert, dafür sogar einen Konjunkturplan abzuschießen, der in diesen Krisenzeiten bitter nötig ist.
Beispiel 2: flämisches Haus gegen belgische Diplomaten
Wie sehr sich Flandern mitunter zu verrennen scheint, zeigt auch der jüngste Aussetzer des flämischen Ministerpräsidenten Kris Peeters. Weil der gerade erst eine flämische Vertretung in New-York eingeweiht hat, glaubte Peeters, der belgischen Botschaft gleich Unfähigkeit unterstellen zu dürfen.
Die belgischen Diplomaten hätten sich im Zusammenhang mit dem Schicksal von Opel-Antwerpen zu passiv verhalten. Flandern werde wohl einen Sondergesandten nach Übersee schicken müssen, damit die flämischen Interessen effizient vertreten werden. Nachdem Peeters von der Botschaft und sogar dem ebenfalls flämischen föderalen Außenminister De Gucht mächtig Prügel bezogen hatte, musste er dann still und leise zurückrudern.
Und ausgerechnet dieses Flandern, das vor lauter Nabel den Bauch nicht mehr sieht, ruft eben in Sachen Opel nach Europa. Ungerecht sei es, dass die offene belgische Wirtschaft, die wohl "globalisierteste der Welt", und damit also vor allem Flandern, zu 100 Prozent von Entscheidungen in Paris, Berlin und Den Haag abhängig sei. Und dort gelte eben: Das Hemd ist uns näher als der Rock.
Das gleiche Prinzip: eine Ebene drüber
Damit wären wir wieder bei der EU. Diese schizophrene Haltung lässt sich derzeit nämlich in vielen europäischen Hauptstädten beobachten. Wenn's schief geht, dann ruft man nach Europa. Wenn's darum geht, eigene Interessen zu schützen, bis hin zu klassischem Protektionismus, dann möge die EU sich bitte raushalten. Und wenn jeder der 27 Mitgliedstaaten so denkt, dann muss man nicht fragen, was am Ende dabei herauskommt.
Europa ist in einer klassisch "belgischen" Lage: Die Skandinavier haben andere Sorgen als die Mittelmeerländer, die östlichen EU-Staaten sind mit anderen Strukturproblemen konfrontiert als die westlichen. Die Großen haben andere Interessen und auch andere Möglichkeiten als die Kleinen. Im Wesentlichen geht es aber auch hier um die Konfrontation zwischen arm und reich.
Keine guten Vorzeichen für den Gipfel
Das traurige Resultat dürfte schon an diesem Sonntag zu begutachten sein, wenn die EU-Staats- und Regierungschefs zu einem Blitz-Gipfel zusammenkommen. Der EU-Kommission bleibt angesichts der herrschenden Kakophonie nichts anderes übrig, als - ähnlich wie der belgische Föderalstaat - den Moderator zu machen. Und die Gefahr wird immer greifbarer, dass sich der eine oder andere am Ende über Brüsseler Vorgaben hinwegsetzt.
Untrügerisches Zeichen dafür, wie stark die Spannungen sind: Nach EZB-Präsident Trichet musste nun auch Währungskommissar Almunia dementieren, dass die Eurozone auseinander brechen könnte. Früher hätte man das noch als reine Verschwörungstheorie abgetan.
Ziel kann derzeit also nur Schadensbegrenzung sein. Sprich: es sollte wenigstens so aussehen, als ziehe man an einem Strang.
In Belgien scheint man auch das zuweilen schon nicht mehr zu versuchen. Man mag es bedauern, aber es besteht kein Zweifel daran, dass der belgische Föderalstaat, das belgische Miteinander, in den letzten anderthalb Jahren an Grenzen gestoßen ist.
Und in EU-Kreisen ist diese Entwicklung nicht umsonst mit Sorge beobachtet worden. Tatsächlich besteht die Gefahr, dass Belgien auch mit seinen inneren Zerreißproben der EU zum Vorbild gerät.
Belgien: ein Europa im Kleinen. In guten, wie in schlechten Zeiten …