Dreht sich der Wirbelsturm schnell genug, entsteht ein Auge, in dem es relativ windstill ist. Dort bleiben die Dächer auf den Häusern und gibt es auch keinen Tsunami. Doch die Gefährdung bleibt, denn wandert der Zyklon, ist es aus mit der Ruhe im Auge desselben.
Jetzt herrscht Ruhe im Auge des Sturms, der BHV-Kelch ist an der DG vorbei gegangen, zumindest vorläufig, ob er nochmal, umso heftiger zurückkommt, darüber streiten sich Experten und Politiker: die einen, wie Gerhard Palm, zeigen sich davon überzeugt, andere, wie Mathieu Grosch oder Louis Siquet, rechnen mit parlamentarischen Schritten oder dem Kalender der Parlamentsauflösungen, die dies nicht erforderlich machen würden.
Spekulieren ist Kaffeesatzleserei, sicherlich in der Frage, ob der DG etwa etwas unter der Hand in Aussicht gestellt worden wäre. Tatsache ist, den Beziehungen mit Namur wäre es dienlich gewesen, den Konflikt anzumelden. Und dem verfassungsmäßigen Status der DG hätte es auch nicht geschadet. Dies zur Theorie.
In der Praxis wären die Kollateral- und Imageschäden allerdings unbestreitbar gewesen, und so ist es sicherlich eine begrüßenswerte Sache, dass es nicht Eupen, sondern Namur war, das den Interessenkonflikt, der eine Abstimmung über BHV unmöglich macht, bis Mitte Mai wohlgemerkt, angemeldet hat. Denn es ist eine Sache, zu wissen, dass eine Eupener Initiative auch im Interesse der föderalen Politik und der flämischen Mehrheitsparteien ist und dass damit keine inhaltliche Stellungnahme verbunden ist, wie Palm dem BRF gegenüber betonte, eine andere Sache ist es, dies nach außen hin zu vermitteln.
Das Kreuz mit BHV ist, dass nicht nur für die DG BHV von übergeordnetem Interesse ist, sondern dass dies auch für die beiden anderen gilt. Die DG will, dass das föderale Schiff in ruhigem Fahrwasser bleibt. Das übergeordnete Interesse der frankophonen Seite ist die Aufrechterhaltung einer Verbindung zu Brüssel. Und die flämische Politik hat gleich ein doppeltes übergeordnetes Interesse an BHV, nämlich ihr Dogma der sprachlich-territorialen Einheit sowie die Verfestigung desselben durch eine Grenze, die im Fall der Fälle zudem Brüssel einem flämischen Staat einverleiben würde.
Im Auge des Sturms halt.
Wie sehr der Sturm wirbelt, wurde in dieser Woche erneut überdeutlich, als der flämische Innenminister Keulen mit schwindelerregender Dreistigkeit die BHV-Bürgermeister geradezu ermutigte, noch geltendes Recht zu brechen, kündigte er doch an, einen Boykott der Wahlen durch diese Bürgermeister nicht zu ahnden.
Im Auge des Sturms halt.
Nach innen hin, mit Blick auf die DG, bestärkt dieses: "Wir-sind-noch-mal-davon-gekommen-Gefühl" allerdings eine der Lebenslügen der neuzeitlichen DG: dass sie ach so neutral zwischen den großen Gemeinschaften stehe, in gleicher Entfernung zu Flamen und Frankophonen. Natürlich hat der Altpolitiker Albert Gehlen Recht, wenn er auf gerade diese Trümpfe verweist und darauf, was dies der frühen DG alles gebracht hat, aber Ferdel Schröder hat auch Recht, wenn er dem BRF gegenüber anmerkt, dass die DG inzwischen gar nicht mehr so eindeutig als unbeteiligter Dritter empfunden werde, während Charles Servaty nicht zu Unrecht daran erinnert, die Vorstellung, dass Flandern der DG alles gebe, was diese nur wolle, ein Zerrbild sei.
Währenddessen, noch stets im Auge des Zyklons, also windstill, aber nicht aus der Gefahrenzone, übt sich die DG in Selbstbetrachtung: man darf gespannt sein, welche Erkenntnisse am Samstag die bereits bestehenden Erkenntnisse bereichern werden, und vor allem, inwieweit der DG-Bürger durch seine Identität, vorausgesetzt, es gibt sie, Wirtschaft und Regionalentwicklung nun fördert oder auch nicht. Der DG-Bürger hat eine multiple Identität, deren Facetten er bei Bedarf auch mehrfach am Tag in der Lage ist, verstärkt hervor zu heben, je nach Gesprächspartner oder Örtlichkeit, ansonsten dürfte er sich kaum von anderen Vertretern der Gattung homo sapiens unterscheiden.
Die jetzige Generation muss sich zudem nicht in unfreundlichem Umfeld behaupten, und wenn, dann in Ausnahmefällen, die Vorgängergenerationen gagegen mussten dies durchaus. Aber die hatten auch noch nicht die Ersatz-Nationalität, die Euregio heisst. Für ihre Vorgänger kam eine Einkaufsreise nach Verviers oder Aachen nicht selten einem Offenbarungseid nahe. Glückliche Zeit: die Euregio als "Nation", und für das Gemüt als "Heimat": Tirol! Nicht für alle, aber eine soziologische Tatsache, in der Form von Tirolerfest, von Volksmusik im Radio oder der Inneneinrichtung Eifeler Wirtshaussäle. Dass dann die flämischen Gäste nicht so weit fahren müssen, ist ein gerne mitgenommener Nebeneffekt. Wobei wir wieder bei dem vertrackten BHV-Thema sind, bei der Imagefrage und den vertrauten Selbsttäuschungen der DG.