War es nur dreist, dass die Regierung keine Konsequenzen aus den ersten Einlassungen des Vorsitzenden des Kassationshofes zog, es gebe deutliche Hinweise, dass es Beeinflussungsversuche der Justiz gegeben habe?
Oder die echte oder vermeintliche Überzeugung, die sozialwirtschaftliche Lage sei zu ernst für mögliche Neuwahlen?
Wie nach einem Stohhalm hatte sie nach dem Bericht des Appellationshofs gegriffen, in dem Fehler des Fortis-Richters nicht ausgeschlossen wurden.
"Dysfunktionen gab es also nicht notwendigerweise bei der Politik" hieß es trotzig. Und wieder schien die Rechnung des Hasardeurs Leterme auf zu gehen, hieß es doch auch im zweiten Bericht des Kassationshofes, es gebe Hinweise, aber keine Beweise für Beeinflussung.
Dass Vandeurzen unmittelbar nach dem zweiten Bericht zurücktrat, machte es für Leterme schwieriger; Vandeurzen dagegen stärkt es sein angestrebtes Profil der ehrlichen Haut von nebenan, die man sich zum Nachbarn wünscht. Uff, wird man bei der CD&V denken, wir haben einen neuen "Mister nice guy".
Nein, der Satz: Die "Dysfunktion liegt nicht unbedingt bei uns" lässt tief blicken. "Die Gewalten streiten untereinander", "das gab's noch nicht", "du jamais vu", wunderte sich Laurette Onkelinx: Damit brachte sie es genau auf den Punkt, oder fast, denn ihr zweiter Ausruf: "du jamais vu" stimmt nur bedingt.
Das Primat der Politik einzusetzen, hatte doch zur Gründung der neuzeitlichen Staaten geführt und Belgien war der erste davon. Denn zuvor herschte das Primat der Rechtsprechung. Von den Schöpfern der modernen Staaten war es ausdrücklich als Zeichen des "ancien régime" abgelehnt und als "gouvernement des juges " beschimpft worden.
Erneut gibt es einen Kampf zweier Rechtsphilosofien: Noch tobt er nicht offen, doch schrieb nicht kürzlich der frühere Verfassungsrichter und spätere deutsche Bundespräsident Roman Herzog - und die Frankfurter Allgemeine widmete seinem Aufsatz eine ganze Seite - dass sich der Europäische Gerichtshof an die Stelle des Gesetzgebers geschoben habe?
Was in der EU unweigerlich ein Thema werden wird, wird in Belgien vorexerziert. Und das seit geraumer Zeit: Hatte sich nicht der damalige Schiedshof selbst zum Hüter des Gleichheitsprinzips gemacht, indem er eigenmächtig einen Paragrafen über den Schulfrieden verallgemeinerte?
Und wer verfestigte denn den Grundsatz des Territorialrechts, und machte aus einer Verwaltungsgrenze eine Rechtsdoktrin? Richtig, die flämische Kammer des Staatsrates. Wobei die Politik sich jedesmal als willfähig erwies, mehr noch: Wenn es ihr gelegen war, verwies sie gerne und ausdrücklich auf entsprechende Urteile.
Und dann, oh wie oberpeinlich, pocht die Politik ausgerechnet dann auf ihr Primat, wenn die Justiz nicht an ihrem Befugniskorsett strickt, wenn sie schlicht und einfach das tut, was ihre ursächliche Aufgabe ist, wenn sie Recht spricht: Natürlich hat das Berufungsgericht recht, wenn es den Fortis-Verkauf anhand der Auflagen des Handels-und Gesellschaftsrechts prüft.
Und natürlich hat Vandeurzen als Justizminister Rechtsbeugung begangen, als er den Untersuchungshäftling, der unter dem Verdacht steht, die Polizistin Kitty Van Nieuwenhuisen getötet zu haben, mehr als zwanzig Stunden ohne gültiges Mandat festhielt, bis er einen Richter fand, der den Mann wegen eines anderen Vergehens erneut festsetzte.
Ja, und dann die, Zitat, ernsthaften Hinweise, es habe Beeinflussungsversuche gegeben. Die Schieflage wäre zu frappant, wenn in dieser Regierung nur ungeschickte Konditormeister zurücktreten, nachdem sie über eine
Tankfüllung stolpern.
Am besten sind die Gewalten im Lande noch, wenn sie ihre ursächlichen Aufgaben wahrnehmen: In Nivelles zum Beispiel, im Lhermitte-Prozess: Die Gründerväter wussten schon - und damit zurück zur Justiz - weshalb sie das, was nicht mit der Vernunft abgeurteilt werden kann, durch Berufsrichter, vor dem Volk ausbreiten, und von diesem aburteilen lassen, und diesem gleichzeitig einen Spiegel vorzuhalten.
Zu gut ist diese Vorstellung, als sie psychiatrischen Richtern in weißen Kitteln und ihren Gutachten zu überlassen, wie nicht selten vor ordentlichen Gerichten.