Künstler erspüren Entwicklungen früher: In ihrem Film "L'enfant", also "Das Kind" stellten die Brüder Dardenne einen jungen Mann in den Mittelpunkt, der, überfordert und leichtsinnig, irgendwo am Maasufer, seiner Freundin eröffnete, das Problem gelöst zu haben.
Er hatte diese Form von Problemlösung - und die Brüder Dardenne und Hauptdarsteller Jérémie Renier brachten dies glaubwürdig rüber - nicht mal in erster Linie als "Verkauf" empfunden, sondern viel eher als, Problemlösung eben.
Was sich sehr schnell als eben "keine Lösung" herausstellte. Unbeschädigt kamen Sonja und Bruno, wie die Protagonisten im Film heißen, im Film nicht davon. Ebenso wenig unbeschädigt, wie eine Frau oder ein Paar nach einem Schwangerschaftsabbruch, oder nach einer Freigabe zur Adoption, oder auf dem Rückweg von der Babyklappe, hinter der sie das Kind abgelegt hat oder haben.
Und das Paar aus Gent wäre wohl auch nicht unbeschädigt da herausgekommen, wenn die Sache nicht publik geworden wäre. Doch sie wurde es. Und so richtet die tragische Geschichte um das junge Leben des kleinen Jayden voll die Scheinwerfer darauf, dass sich, um, auf der einen Seite, ersehnte Elternschaft, und auf der anderen Seite, ungewünschte Elternschaft, ein ganzes Biotop
aufgetan hat, ein sehr reales, im virtuellen Netz, von Chatrooms und Interfaces, Websites, und Blogs.
Und dass sich, in dem Medium, das E-Shopping zur Religion und Ebay zur Kathedrale gemacht hat, neben dem Kasten für Kummer, Hoffnung, Verzweiflung oder Frust auch ein Marktplatz entwickelt hat, wen will das ernsthaft verwundern?
In einer Zeit, in der die Schnäppchenmentalität Angebot und Nachfrage in den Einkaufszentren regelt, und eine globale Wirtschaftsordnung - oder Unordnung - damit ganze Wirtschaftszweige auf der Welt umverteilt.
Eine Welt, in der die Handys auf dem Gabentisch für die Kinder der ersten Welt mit den Chips bestückt sind, für deren Herstellung Kinder in afrikanischen Erzgruben versklavt oder als Kindersoldaten geschändet werden.
Eine Welt, in der alles käuflich ist, nicht nur Handytöne beim nächtlichen Zappen im frei zugänglichen Fernsehen, vom Pay TV ganz zu schweigen. Eine Welt, in dem die Trader der Hedgefonds mit nicht existierendem Geld auf fallende Kurse spekulieren durften, unter den bewundernden Blicken und dem Applaus von Weltbank, Welthandelsorganisation und EU-Kommission.
In einer Welt, in der die NATO-Länder in Afghanistan in den Heroinfeldern stehen und für ihre Soldaten Schutzgelder zahlen durch Nichtagieren, stattdessen ihre Polizisten die Junkies vor den Bahnhöfen ihrer Städte
vertreiben lassen, oder auch nicht.
Alles ist käuflich, und verkäuflich. So wird wohl nicht nur das Paar aus Gent per Mausklick zu Kinderhändlern geworden sein, schneller als die Dardenne-Brüder es beim Drehbuchschreiben gedacht haben.