Seit große Teile der belgischen Finanzwelt in sich zusammengestürzt sind, herrscht in Belgien irgendwie so etwas wie Hysterie. Vertrauen? Fehlanzeige! Vor allem Politik und Justiz stehen unter Generalverdacht. Das zugegebenermaßen nicht immer ohne Grund.
Dass sich Außenminister Karel De Gucht die eine oder andere unangenehme Frage gefallen lassen muss, ist nur nachvollziehbar. Wenn De Guchts Ehefrau nur wenige Stunden, bevor die Zerschlagung der Fortis-Gruppe angekündigt wird, ihre Fortis-Aktien verkauft, dann lässt dies natürlich einen bösen Verdacht aufkeimen. Dann darf man zumindest die Frage stellen, ob sie von ihrem Mann den entscheidenden Tipp bekommen hatte, da der zu besagtem Zeitpunkt bereits wusste, was mit der Fortis geschehen würden.
Selbst De Gucht kann wohl nicht leugnen, dass das Ganze verdächtig nach einem Insidergeschäft riecht. Doch macht allein der Geruch noch keinen Braten. De Gucht und auch seine Frau, Mireille Schreurs, haben für den Verkauf der Fortis-Aktien eine plausible Erklärung. Hinzu kommt: Mireille Schreurs ist Richterin: Hätte sie ein Insidergeschäft getätigt, dann hätte jemand wie sie wohl am besten gewusst, dass man das nicht in der Fortis-Zweigstelle seiner Heimatgemeinde abwickelt.
Muss man De Gucht glauben, wenn er seine Unschuld beteuert? Man muss nicht! Man darf ihm aber auch nicht grundsätzlich unterstellen, dass er lügt. Genau das hat man aber in den letzten Tagen beobachten können, als sogar ein Fernsehjournalist wie selbstverständlich einräumte, dass er -natürlich- von der Schuld des Ministers ausgehe. Dazu nur so viel: In diesen Zeiten, wo viel zu viele Menschen viel zu sehr enttäuscht wurden und sich -unterbewusst- einen Sündenbock wünschen, sollte man sich hüten, jemanden vorschnell an den Schandpfahl zu stellen. Die Konsequenzen könnten irgendwann einmal dramatisch sein.
Doch selbst wenn De Gucht eine reine Weste hat, worüber am Ende die Justiz zu urteilen hat, muss man seiner Frau schon jetzt wenigstens einen Vorwurf machen: Sie hat mit ihrer vielleicht sogar ganz sauberen Transaktion einmal mehr der Glaubwürdigkeit der Politik in diesem Land einen neuen, herben Schlag versetzt.
Um diese Glaubwürdigkeit ist es in diesen Tagen ohnehin schlecht bestellt. Das Verfahren vor dem Brüsseler Handelsgericht, wo Kleinanleger gegen die Zerschlagung der Fortis-Gruppe zu Felde ziehen, ist in gewisser Weise Ausdruck dieses Misstrauens. Nicht wenige Fortis-Kleinanleger geben der Politik die Schuld daran, dass ihre Aktien so gut wie nichts mehr Wert sind. Es schießen die tollsten Verschwörungstheorien ins Kraut, von wegen die Regierung habe die Fortis-Bank -warum auch immer- den Franzosen auf einem Silbertablett servieren wollen.
Die Kanzleien Modrikamen und Deminor übernehmen hier die Rolle des Verstärkers. Bei den Anwälten hat man den Eindruck, sie betrachten den Prozess als eine rein sportliche Herausforderung, wo allein das Gewinnen zählt. Man darf sich aber die Frage stellen, ob ein Sieg in dem Verfahren unterm Strich auch ein Sieg für die Kläger wäre, die sie vertreten. Wird die Zerschlagung der Fortis-Gruppe und damit der Verkauf der Bank für illegal erklärt, dann wird vielleicht ein Problem gelöst, aber möglicherweise ein viel größeres geschaffen.
Genau das meinte Yves Leterme wohl auch, als er erklärte, die Regierung könnte sich im Falle einer Aussetzung der Transaktion aus der Fortis zurückziehen. Dies war wahrscheinlich eher als Warnung denn als Drohung gedacht. Möglicherweise hätte die Regierung dann keine andere Wahl, als ihre Strategie zumindest noch einmal zu überdenken.
Doch gleich, wie er es gemeint hat: Leterme hätte sich auf die Standard-Floskel beschränken sollen: "wir lassen die Justiz ihre Arbeit machen, dann sehen wir weiter". Stattdessen musste er sich versuchte Einflussnahme vorwerfen lassen. Der Protest der Anwälte war aber so vehement, dass er fast schon wieder perfide war: Wenn das Gericht am Ende doch gegen Interessen der Kläger urteilt, dann kann man immer sagen, die Justiz sei unter dem Druck der Politik eingeknickt.
Fazit auch hier: Als wäre das Vertrauen in Politik und Justiz nicht schon unterminiert genug, sorgt der eine durch Unvorsichtigkeit, der andere aus strategischen Erwägungen dafür, dass der Glaubwürdigkeit immer wieder neue Schläge versetzt werden.
Das Resultat dient aber allenfalls Anarchisten, Demagogen oder Poujadisten: Hier entsteht ein ungesundes Klima. Wenn man dann noch beobachtet, dass immer häufiger der Dialogfaden zwischen den Sozialpartnern reißt und man sich zuweilen nur noch über Gerichtsvollzieher unterhält, dann zwingt eigentlich nur eine Schlussfolgerung auf: Es herrscht allgemeines Misstrauen.
So kann man kein Land durch das Sturmtief führen, das sich da über der Welt zusammenbraut. Wenn die Lage nicht so ernst wäre, dann könnte man über das ganze Schmierentheater herrlich lachen. Das Problem ist nur: Die Lage ist ernst.