Es war ein Weltereignis, eine Weltwahl. So formulierte es einer der Herausgeber des angesehenen Wochenmagazins "Die Zeit", Josef Joffe. Zum ersten Mal in der Geschichte: Die ganze Welt war dabei, als ein Land wählte. Amerika machte Barack Obama zum neuen US-Präsidenten. Nie zuvor gab es für eine Wahl ein solches Interesse, eine solche Begeisterung.
Alle Weltbürger wählten mit: McCain oder Obama. In belgischen, niederländischen und deutschen Schulen konnten Kinder ihre Stimme abgeben. So, als dürften sie mitbestimmen, wer die Weltmacht USA regiert, wer zukünftig der Welt mächtigster Politiker ist.
Weit vor den US-Wahlen war die weltweite "Obamanie" ausgebrochen - was nicht nur mit dem Kandidaten Obama zu tun hatte, sondern auch mit dem noch amtierenden Präsidenten George W. Bush. Manche hatten längst den Namen Bush zum Unwort des Jahrzehnts erklärt. Und Barack Obama vorschnell zum Messias, zum Wunderheiler.
Es ist die Sehnsucht nach Veränderung, Erneuerung und Vertrauen. In einer Zeit, die nach Aufräumen schreit. Weltwirtschaftskrise, Rezession, Afghanistan und Irak als Dauerkriegsplätze und in den USA die unvorstellbare Größe von 10,5 Billionen Dollar Rekordverschuldung und 45 Millionen Bürger ohne Krankenversicherung.
Da braucht es einen, der Hoffnung gibt, einen Menschen, dessen Menschlichkeit überzeugt. Eine Persönlichkeit mit Überzeugungen und Charisma. Was er wirklich kann, sachlich und fachlich, muss er beweisen, dieser mit 47 Jahren junge, schwarze neue US-Präsident.
Der erste schwarze Präsident der Vereinigten Staaten. Ein Mann, der sich nie auf seine Herkunft berufen hat. Und doch ist genau das von enormer historischer Bedeutung: dass ein Schwarzer dieses Amt erobert hat. Davon könnte nicht nur ein Stück zur inneren Befriedung Amerikas ausgehen - die ganze Welt müsste davon profitieren.
Allerdings: Es gibt sie nicht, die Wunderheiler. Und folglich kann Obama keiner sein. Trotz aller Ausstrahlung, aller Dynamik und aller Rhetorik. Die USA und Obama müssen den Nachlass George W. Bushs regeln - ein scheinbar unlösbares Unterfangen, gerade vor dem Hintergrund einer Weltfinanzkrise, die die Gefahr birgt, schwerste soziale Unruhen auszulösen.
Aber lassen wir uns diesen Obama-Sieg, diesen Erfolg der Gefühle nicht madig machen. Nie zuvor - auch nicht bei John F. Kennedy - gab es eine solche Mehrheit für und eine solche Begeisterung um einen US-Präsidenten.
Barack Obama wird - von den Europäern euphorisch willkommen geheißen - uns Europäer in die Pflicht nehmen und, wenn erforderlich, auch zu größerem militärischem Engagement in der Welt auffordern. Da wird er auf einer Linie mit dem ungeliebten Vorgänger bleiben.
Und: Obama wird einen Teufel tun, alle alten Zöpfe abzuschneiden. Er wird bekannte Verantwortungsträger aus der Clinton-Ära ebenso in seine Mannschaft berufen wie fähige Republikaner. Obama - ein Demokrat mit ungeheueren Chancen, aber auch mit dem gewaltigen Risiko abzustürzen auf dem schmalen Grat zwischen Anspruch und Wirklichkeit, zwischen Wollen und Können.