Die US-amerikanische Wirtschaft steckt in der Rezession, der Eurozone wird für das kommende Jahr fast ein Nullwachstum vorausgesagt. Die Stahl- und Auto-Industrie muss ihre Produktion bereits zurückfahren. Und das ist wohl erst der Anfang. In einigen Monaten wird die Wirtschaftskrise voll durchschlagen, mit womöglich dramatischen Auswirkungen etwa für den Arbeitsmarkt. Doch könnte man den Eindruck haben, dass so mancher den Ernst der Lage noch nicht erkannt hat. Jetzt ist jedenfalls nicht der richtige Zeitpunkt für Dogmatismus und ideologische Grabenkämpfe, meint Roger Pint in seinem Kommentar:
Vertrauen. Das Wort ist in aller Munde. Vertrauen schaffen, so lautet die Parole. Das funktioniert aber nicht nur, indem der Staat Milliardenbeträge in strauchelnde Geldhäuser steckt. Vertrauen schaffen, dazu gehört auch: allgemeines Verantwortungsbewusstsein. Im Augenblick mag man das mitunter schmerzlich vermissen. Nicht selten hat man das Gefühl, dass die verschiedenen Protagonisten ausschließlich ihre eigenen Interessen im Blick haben.
Die Linken machen die Liberalen für die Krise verantwortlich: das sei das Ende des Neoliberalismus, wie er von "Reynders & Co" propagiert wurde, tönt es bei Sozialisten und Grünen. Gerade bei den Sozialisten scheint es fast schon, als suhle man sich in der Krise, um sie dem blauen Gegner dann beim nächsten Wahlkampf aufs Brot schmieren zu können.
Konservative und Liberale fuchteln ihrerseits immer wieder mit alten Feindbildern herum: diejenigen, die eine - definitiv nicht ganz unbegründete - Systemkritik üben, werden umgehend als Marxisten abgetan, die wohl lieber heute als morgen die Hammer-und-Sichelfahne auf der Brüsseler Börse hissen würden.
Dass so mancher selbst in Zeiten einer Jahrhundertkrise offensichtlich nicht davor zurückschreckt, eben diese Krise für seine Interessen oder Wahlkampfzwecke zu missbrauchen, ist erschreckend. Und ideologische Grabenkämpfe, das ist das letzte, was wir jetzt gebrauchen können, zumal sie sich im vorliegenden Fall auf die längst verjährte Schwarzweißmalerei beschränken, die Frage: Marktwirtschaft oder Kommunismus?
Doch wäre Belgien nicht Belgien, wenn sich zu dieser unnötigen Diskussion nicht auch noch die Gemeinschaftspolitik gesellen würde. In Flandern wird etwa behauptet, die Frankophonen hätten für die Kapitalspritze zu Gunsten der KBC-Bank einen Ausgleich verlangt: Unterstützung für den Luftfahrtkonzern Sonaca in der Provinz Hennegau. Das sei die Rückkehr der berühmt berüchtigten Kompensationen, krächzte bereits die flämische Presse: die Rückkehr der "Waffeleisenpolitik".
Und das Ganze bekommt dann noch durch eine Verschwörungstheorie zusätzliche Würze: Nationalbankchef Guy Quaden, seines Zeichens Frankophoner und Sozialist, habe durch abenteuerliche Aussagen über die KBC die Bank erst in die Lage gebracht, beim Staat anklopfen zu müssen. Ein Schelm, der da Böses denkt.
Doch wird die Krise nicht nur in der Politik instrumentalisiert. Am vergangenen Sonntag stach etwa der Generaldirektor des Unternehmerverbandes FEB, Pieter Timmermans, wohl alles andere als versehentlich ins Wespennest: wenn man schon über Goldene Handschläge - und vor allem über Obergrenzen für besagte Abschiedsprämien - diskutiere, dann müssten auch Kündigungsfristen und -abfindungen für Angestellte zur Debatte stehen. Wer allen Ernstes millionenschwere "Goldene Fallschirme" mit sozialen Begleitmaßnahmen bei Entlassungen vergleicht, der legt in diesen Zeiten einen fast schon unverantwortlichen Zynismus an den Tag.
Die Beispiele lassen denn auch nur einen Schluss zu: der Ernst der Lage wird zuweilen augenscheinlich unterschätzt. Die Politik muss begreifen, dass dem Bürger derzeit der Kopf nicht nach Wahlkampfgetöse und bestimmt nicht nach gemeinschaftspolitischen Reibereien steht. Und die Sozialpartner müssen einsehen, dass Dogmatismus jetzt fehl am Platz ist. Das gilt für Arbeitgeber und Gewerkschaften gleichermaßen: Niemand kann so tun, als wäre nichts passiert.
Angesichts von drohenden Massenentlassungen können sich die Arbeitgeber nicht gegen eine Diskussion über ihre Vergütungen oder gegen die Forderung nach mehr Transparenz und Kontrolle stemmen. Die Gewerkschaften dürfen ihrerseits am Vorabend einer Wirtschaftskrise in Sachen Lohnforderungen den Bogen nicht überspannen und vor allem: sie dürfen ihren Mitgliedern nicht das Blaue vom Himmel versprechen. Es ist eben Verantwortungsbewusstsein gefragt.
Der Soziale Zusammenhalt wird derzeit auf eine harte Zerreißprobe gestellt. Die Kluft zwischen "denen da oben" und Ottonormalverbraucher droht, unüberbrückbar zu werden. Jeder muss sich seiner Rolle in dieser Gesellschaft bewusst sein. Politiker und Arbeitgeber müssen dafür sorgen, dass der Bürger nicht den Eindruck hat, er sei der einzige, der unter der Krise leiden muss. Quasi als Gegenleistung dürfen die Bürger oder deren Interessenvertreter aber auch nicht Unmögliches verlangen. Alle haben ein vitales Interesse daran, auf Strategiespielchen zu verzichten und an einem Strang zu ziehen, um die Krise zu stemmen. Denn alle Beteiligten müssen wissen: Scheitern die klassischen Kräfte, dann stehen die Rattenfänger, mit vermeintlich einfachen Antworten und Rezepten, schon in den Startlöchern.