Ist es nun die Zukunft? Oder ist es Wunschdenken? Dass das Gewicht der Staaten abnimmt. Dass sich die Regionen unter dem Dach Europas zusammenfinden. Dass langfristig die Staaten belanglos werden.
Man muss nicht De Wever heißen, um den Staat verdampfen zu sehen, wie dieser es gerne ausdrückt. Man muss auch kein flämischer Nationalist sein, um zu verkünden, Belgien habe nur eine Brückenfunktion zwischen den Regionen und Europa. So sagten es jüngst die CD&V-Hardliner Stefaan De Clercq und Eric Van Rompuy im Magazin Humo. Nein, viele überzeugte Föderalisten und Regionalisten haben sich in diesem Denkgebäude eingerichtet mit Euregios und Großregionen, Stadtlandschaften und kooperierenden Hochschulen. Mit EU-Richtlinien und EU-Geldmitteln aus verschiedensten Töpfen.
Und - hopplahopp - plötzlich sind sie wieder da, die Staaten: Sie geben ihren Banken Finanzspritzen in Milliardenhöhe, sie agieren, das Europa-Brüssel kommt erst jetzt in die Gänge, erinnert an frühere Resolutionen, kommt aber nicht mit konkreten Schritten. Von den Regionen hört man wenig. Klar, in Belgien steuerten sie Geld zur Dexia-Rettung bei, doch allein hätte Kris Peeters die Dexia nicht gerettet, Rudy Demotte noch weniger. Daraus zu schließen, die föderale Regierung wäre jetzt schlagkräftig, ist nur scheinbar und zum Teil richtig: sie agiert nicht, sie reagiert.
Pikant ist, wie sich dabei die Wesenszüge der Nationen herausschälen - ein weiterer Beweis, dass es sie gibt, die Nationen -, das sieht man an den Folgen: Holland hat seine Großbanken wieder, Belgien verlor deren zwei ans Ausland. Und sitzt vielleicht noch auf explosiven Krediten, wenn es stimmt, was Wouter Bos diese Woche sagte: dass die niederländischen Fortis-Anteile besser seien, befreit von belgischer Ansteckungsgefahr. Besmettingsgevaar, hat er tatsächlich gesagt, der niederländische Finanzminister: das war von beispielloser Rücksichtslosigkeit, ja Niedertracht und national staatlichem Egoismus, womit er sich seinen Platz im Buch der belgisch-niederländischen Feindseligkeiten gesichert hat. Sie sind halt eine Nation von Kaufleuten, die Niederländer, seit Calvinismus und Protestantismus die Bataven prägte.
Und die Franzosen? Die haben als Filetstück die Versicherungen der früheren "Générale" günstig eingekauft: Colbert und die "grandes écoles" wie die nationale Verwaltungsschule ENA lassen grüßen.
Ob die Nationalstaaten die Chance ihres Comebacks nutzen, ist dabei fraglich. Werden sie ordnungspolitisch vorgehen? Werden sie in den Aufsichtsräten wirksam Aufsicht führen? Eine Bemerkung von Fred Evers, Vorstand in der Dexia-Gemeindeholding, in dieser Woche im BRF lässt am guten Willen zweifeln, redete dieser doch bei der Frage nach der Wahrnehmung der Aufsicht lieber über die Gier der Anleger nach hohen Renditen - zweifellos eine richtige Feststellung - als über die Banken, die, ähnlich Dealern, die Droge der Bereicherung am Kapitalmarkt anbot. Man darf sich also überraschen lassen, ob die Staaten die Chance nutzen und ob die These von Schlagkraft und Attraktivität des guten alten Nationalstaates stimmt.
Man mag einwenden, das möge für Georgien oder den Kosovo gelten - weit gefehlt: im luxemburgischen Clerf, im Herzen von Benelux und Großregion, antwortete der luxemburgische Innenminister Jean-Marie Halsdorf im Brustton der Überzeugung auf die Frage, was die Großregion SaarLorLux von der Euregio Maas-Rhein unterscheide: der Unterschied, das sei Luxemburg. Die Großregion habe mit Luxemburg als Mitglied ein Riesenprivileg: ein Mitglied mit allen Attributen eines Nationalstaates. Jean-Claude Juncker könne gleich zu Sarkozy ins Präsidialbüro, andere kämen bestenfalls bis zum Vorzimmer. So brutal hat er es nicht gesagt, er ist ja nicht Wouter Bos, aber darauf lief es hinaus, in melodiösem Moselfränkisch.