Zugleich läutete MR-Chef Didier Reynders im frankophonen Landesteil den Wahlkampf ein. Und auch in Flandern hat der jüngste Streit in der Regierung Peeters gezeigt, dass ab jetzt nur noch die Regional- und Gemeinschaftswahlen 2009 zählen.
Vor diesem Hintergrund hat die jüngste Beruhigung auf gemeinschaftspolitischer Ebene eher mit wahltaktischen Erwägungen denn mit einer Rückkehr zur Vernunft zu tun.
Auf ersten Blick mag man sich derzeit nur die Augen reiben. Vor der Sommerpause hatte das Hauen und Stechen mit dem zwischenzeitlichen Rücktritt von Yves Leterme ja noch einmal einen Höhepunkt erreicht. Gerettet wurde die Regierung nur durch die Einsetzung der drei Vermittler. Die sollten dafür sorgen, dass es nun endlich zu einem Dialog zwischen Flamen und Frankophonen über eine neue Staatsreform kommt. Zentral dabei: insbesondere die flämische Forderung nach Garantien. Die Flamen wollten sicher sein, dass es vor der Wahl vom 7. Juni auch tatsächlich erste konkrete Resultate gibt.
Angesichts dieser und anderer Vorbedingungen konnte die Mission der drei Vermittler seinerzeit fast schon wie ein königliches Himmelfahrtskommando anmuten. Sechs Wochen später hat da man fast schon den Eindruck, man lebe in einem anderen Land.
Die flämische Regierung um Ministerpräsident Kris Peeters nahm Ende vergangener Woche demonstrativ das Heft in die Hand, und zwar in Form eines neuen Vorschlags zum Wiederankurbeln der institutionellen Verhandlungen. Darin steht nichts von Garantien, es gibt keine Deadline, und jede Sprachgruppe darf auch die Zusammenstellung ihrer Delegationen selbst bestimmen. Grundlage ist ein weißes Blatt: Es gibt im Prinzip keine Tabus. Dazu nur so viel: Hätten die Frankophonen vor 2 Monaten den Flamen einen solchen Plan unterbreitet, dann hätten diese das Papier noch im selben Moment in der Luft zerrissen.
Natürlich nahmen die Frankophonen den Vorschlag an. Und auf flämischer Seite reagierten die großen Parteien fast schon euphorisch.
Angesichts dieser Entwicklung würde der Zyniker sagen, man habe geschlagene 15 Monate gebraucht, um dann ein weißes Blatt zu einem bahnbrechenden Erfolg zu verklären. Die Übereinkunft jetzt gleich als Farce zu verhöhnen, wäre aber kontraproduktiv. Vielmehr sollte Erleichterung vorherrschen. Endlich scheinen alle sich die Hörner abgestoßen zu haben, scheinen Verhandlungen möglich, die wirklich diesen Namen verdienen. Da sollte man die Vergangenheit ganz einfach ruhen lassen.
Bedeutet das Ganze also, dass mit einem Mal die Emotionen in der Rue de la Loi verflogen wären, und der Vernunft Platz gemacht hätten? Wohl eher nicht!
Vielmehr geht es hier um eine taktische Frontenverschiebung. Wo ab jetzt die Musik spielt, das hat MR-Chef Didier Reynders Anfang der Woche klar gemacht. Für ihn stehen jetzt die sozial-wirtschaftlichen Herausforderungen im Vordergrund. Und vor allem: die nächste Wahl. Und wenn man die giftigen Angriffe des MR-Chefs gegen die Koalition in Namür gehört hat, dann steht zu befürchten, dass dieser Wahlkampf nicht nur ellenlang, sondern auch knüppelhart wird.
Ähnliche Signale gibt es auch aus Flandern. OpenVLD und SP.A haben dort den flämischen Ministerpräsidenten Kris Peeters zu einem Gang nach Canossa genötigt. Peeters hatte eigentlich da punkten wollen, wo Leterme kläglich versagt hatte. Er wollte auf institutioneller Ebene den Macher mimen. Frankophone Medien hatten den selbstbewussten flämischen Ministerpräsidenten denn auch gleich zum "flämischen Messias" bombardiert, wohl nicht ganz ohne Ironie.
Nun ja: So schnell ist wohl noch nie ein Messias vom Sockel gestürzt. Peeters Amtskollegen Demotte und Picqué werden bei den Verhandlungen wohl fehlen. Und plötzlich sah sich Peeters wohl schon sein Schaulaufen am Ende vor der zweiten Garnitur der Frankophonen zum Besten geben.
Er wetterte also über das da drohende Kaffeekränzchen, brachte auch wieder ominöse Garantien ins Spiel. Darauf hatten OpenVLD und SP.A nur gewartet: Das sei so nicht abgesprochen gewesen, polterten die Koalitionspartner. Resultat: Peeters wurde zurückgepfiffen und zu einem kleinlauten Mea-Culpa vor den Pressemikrophonen verdonnert.
Und spätestens da dürfte Kris Peeters aufgegangen sein, dass er in der Falle sitzt. Erstens: Mit einem Mal hat er das belgo-belgische Virus in seine Regierung eingeschleppt, was gleich für eine Destabilisierung gesorgt hat. Zweitens: Peeters sitzt jetzt zwischen zwei Stühlen. Als er erneut Garantien ins Spiel brachte, sang er natürlich das Lied des Kartellpartners N-VA. Ein unverbindlicher Dialog auf Basis eines weißen Blattes, das dürften die flämischen Nationalisten allenfalls in die Kategorie "Schlechter Witz" einordnen.
Am Sonntag kommender Woche wird die N-VA einen Parteitag abhalten. Bleibt es bei dem vorliegenden Text, dann kann die N-VA der CD&V eigentlich nur die Rote Karte zeigen. Genau das war die Absicht von OpenVLD und SP.A: Nicht nur, dass sie die Erpressung der 6-Sitze-Partei N-VA nicht mehr hinnehmen wollen. Ziel ist auch, das Kartell CD&V-N-VA an den Rand der Explosion zu bringen und nebenbei den Coming-Man Peeters zu entzaubern. Auch in Flandern hat sich also der Wind gedreht.
Das Ergebnis ist leider dasselbe: Jetzt wird es vielleicht nicht mehr das Thema Staatsreform sein, das das politische Leben lähmt. Für Stillstand wird jetzt der Wahlkampf in allen Landesteilen sorgen. Die Massenschlägereien werden uns erhalten bleiben, die Protagonisten wechseln nur für neun Monate die Bühne ...