Malmedy ist die erste Gemeinde in der Wallonie, in der es zu dieser Art von Mehrheitswechsel kam, ausgelöst durch ein Misstrauensvotum, das, gekoppelt an bestimmte Abstimmungsformen, mit einem Stühlerücken verbunden ist.
Nützen dürfte es dem, der das Verfahren auf Gemeindeebene einführte: dem wallonischen Innenminister Courard. Dass die Premiere ausgerechnet in Malmedy stattfand, muss nicht erstaunen, meint Frederik Schunck.
Die Malmedyer, glaubt man einer Umfrage von "La Meuse", hat die Nachricht nicht vom Hocker geworfen. Streit im Stadtrat ist für die Malmedyer nichts Neues. Dass jetzt Denis jr. Bürgermeister wird, erfüllt sie eher mit Neugierde. Weghaben wollten viele Malmedyer Denis sen., Robert Denis, weil sie ihn als selbstherrlich empfanden. Am ehesten noch zeigten sich die Malmedyer erstaunt, dass es ausgerechnet ihre Stadt ist, die in den Schlagzeilen ist. Doch damit können sie umgehen.
Denn Malmedy war immer etwas Besonderes. Erst als frühe Fürstabtei. Dann die Epoche, als es Preußens Herrscher schmeichelte, im äußersten Westen einen Zipfel Land zu besitzen, in dem man Voltaires Sprache redete und aus dem das Bildungsministerium in Berlin Französischlehrer rekrutieren konnte. In der Gegenwart beeindruckt der Ort an den alten Handelswegen im waldreich zerklüfteten Tal damit, wie spielerisch er es zur Tourismusmetropole schaffte, während man sich im umliegenden Hochland zum Teil arg darum bemühen musste.
Nicht allzu erstaunt dürften die Malmedyer auch deshalb sein, weil der kontrolliert herbeigeführte Mehrheitswechsel recht schnell von statten ging und weil sie vielleicht, ebenso wie viele andere Ostbelgier, recht früh den Begriff des konstruktiven Misstrauensvotums aus dem deutschen Fernsehen kannten, als die Tagesschau die Bilder zeigte, wie ein im Parlament geschlagener Helmut Schmidt, mit Hader im Herzen, aber parlamentarischer Höflichkeit entsprechend, seinen Herausforderer Helmut Kohl zur neuen Kanzlerschaft beglückwünschte. Schmidt hatte das Vorgehen zuvor unmoralisch genannt. CDU-Einpeitscher Heiner Geissler hatte scharf widersprochen: Ein verfassungsmäßiges Verfahren könne nie unmoralisch sein. Es gab zuvor auch das Bild eines versteinerten Willy Brandt, nachdem Rainer Barzel damit gescheitert war, eine Wechselmehrheit herbeizuführen.
Solche Vorgänge hatten die Verfassungsgeber des Belgiens der Gemeinschaften und Regionen dazu gebracht, die Möglichkeit solcher Wechselmehrheiten auch in Belgien einzuführen, als ein Mittel gegen lähmenden Streit oder politischen Stillstand und als eine Alternative zu zeitaufwendigen Neuwahlen, die in Belgien ja nicht selten in Staatskrisen münden.
Die wallonische Regierung ging einen Schritt weiter: Sie führte das Verfahren auch auf Ebene der Gemeinden ein. Genauer gesagt: der PS-Minister Courard. Der Bürgermeister von Hotton und frühere Geographielehrer ist gebürtig aus den Ardennen, "un ardennais", wie man in der Wallonie sagt. Was soviel heißt wie bodenständig und hartnäckig.
Courard kann im großen Maße Vollzug melden: Die Zahl der Interkommunalen halbiert, eine finanzielle Obergrenze bei Mandatshäufungen eingeführt ebenso wie einen Kodex für Gemeindedemokratie. Dieser ermöglicht neben einer indirekten Wahl des Bürgermeisters auch das besagte Misstrauensvotum. Mit viel Müh und Not schafften es Courards Vorstellungen durch das Wallonische Parlament, begünstigt vom Trauma Charleroi. Doch bei diesem Gemeindekodex sollte man wissen, was Courard damit bezweckte: Das Dekret hatte die Ausübung kommunaler Demokratie zum Gegenstand, nicht eine wie auch immer geartete größere Demokratisierung. Die Effizienz. Die Beschlussfassung. Nicht eine breitere Diskussionsbasis wie sie manche fordern.
Der Leitgedanke dabei: kommunale Demokratie setzt eine funktionstüchtige kommunale Macht voraus. Mit dem sicherlich gern mitgenommenen Nebeneffekt, dass wochenlange Negativ-Schlagzeilen oder Schlammschlachten vermieden oder verkürzt werden. Courard ist, zusammen mit Ministerpräsident Demotte und dem
Charleroi-Krisenmanager und heutigen Energieminister Paul Magnette, einer der Männer, die der PS-Vorsitzende Di Rupo als Erneuerer ins Feld schickte.
Seit seiner Bezeichnung als Vermittler durch den König, aber sicher nicht ohne die Zustimmung des Parteichefs, kann inzwischen wohl auch der sozialistische Eupener Ministerpräsident Lambertz dazugezählt werden.