Die vom König eingesetzten Vermittler haben inzwischen ihre Konsultationen aufgenommen, ohne dass in den Schlagzeilen der Presse die gefährlichen Reizthemen auftauchen, und wenn, dann nur am Rande. Doch die Ruhe ist trügerisch, meint Frederik Schunck.
Bart De Wevers Ultimatum hat seine Wirkung verfehlt und wird wohl im Sommerloch verpuffen. So kann nicht nur Yves Leterme seinen Urlaub getrost antreten. Sollen nur alle denken, er sei gescheitert und von Neid darüber zerplatzen, dass er es erneut geschafft hat, dass andere für ihn die Kohlen aus dem Feuer holen. Im Gegensatz zu seinen Vorgängern weiß er, dass er innerparteilich als Premier keinen Rivalen fürchten muss, und dass seine Sympathiewerte bei den flämischen Wählern weiterhin hoch sind.
All das weiß Yves Leterme. Selbstzufrieden kann er registrieren, dass selbst die Leitartiklerin des inzwischen kämpferischer gewordenen Magazins "Le Vif / L'Express" seine Kampfparole vom Föderalismus, der "am Ende sei", für ihren Leitartikel übernommen hat. Von wegen Leterme gescheitert! Hat den Süden weichgeklopft! - den größeren Teil des Südens, weil der kleine Teil, also die DG, ohnehin weiteren Reformen gegenüber aufgeschlossen ist. Zumindest die politische Klasse.
Apropos Bürger und Politik: Leterme hat es sogar geschafft, so etwas wie eine Identifikation zu schaffen zwischen den Bürgern und ihrem MP: Lambertz als königlicher Vermittler, das zergeht doch vielen Ostbelgiern auf der Zunge. Und kaum verwundert registrieren sie, dass ihr MP die einzigartige Chance, für die DG zu werben, weidlich nutzt, mit viel Geschick. Das haben sie von ihm auch nicht anders erwartet. "Wir - sind - Vermittler" würde die Bild-Zeitung titeln, frei nach ihrer legendären "Wir - sind - Papst" - Sprachschöpfung.
Ja, Leterme kann sich zufrieden zurücklehnen: Reformbereitschaft erreicht - Baby gerettet. Sein Baby, das Kartell, dem er bisher alles unterordnet. Und dabei das Überraschendste: Sogar das Staatsorberhaupt hat er auf seine Seite gebracht: da mag manch flämischer Leitartikler die Nase rümpfen, weil König Albert die Staatskrise nur mit einem Satz ansprach, in seiner Rede zum Nationalfeiertag, aber der Satz hatte es in sich: "neue Formen des Zusammenlebens" hat er gesagt, nicht mal mit einer Warnung versehen oder einem erhobenen Zeigefinger.
Albert und Leterme Bundesgenossen? Böswillige Zeitgenossen mögen denken, Albert will seinen Thron retten, so wie Leterme sein Kartell, als dessen politische Lebensversicherung. Aber ist Ihnen etwas aufgefallen? Eine ganze Woche lang redete man nicht mehr über B-H-V, Brüssel-Halle-Vilvoorde. Selbst das Urteil des Staatsrates zu ungunsten der drei FDF-Bürgermeister schlug keine Wogen. Eine trügerische Ruhe, hat sich doch inzwischen bei den Entscheidern im Land herumgesprochen, dass B-H-V eine geopolitische Dimension zu erreichen droht. Denn im Fall einer Spaltung des Landes hätte der Wahlkreis Einfluss auf die Grenzziehung der künftigen neuen Staaten.
Aber wieso eigentlich in einem Spaltungsszenario räsonieren? Weil dieses eine eigene Dynamik entwickelt hat. "Die Geister, die ich rief, werd' ich nicht mehr los", heißt es in Goethes "Zauberlehrling". Die Zauberlehrlinge waren unter anderem die Politiker und Wirtschaftslenker des Zirkels "In de Warande", die in einem Manifest offen für eine Spaltung des Landes plädierten, so offen, dass ein um sein Belgien-Geschäft fürchtender US-Multi seinen führenden Manager, der das Manifest mit unterzeichnete, fristlos feuerte. Der politischen Klasse Flanderns passte dies alles vorzüglich ins Konzept: gaben die Drohungen ihren Forderungen nach einem nicht näher bezeichneten Konföderalismus doch mehr Gewicht. Doch dann geschah unerwartetes: die Gegenseite nahm die Drohung für bare Münze und, das war das eigentlich Ungeheuerliche, positionierte sich gleich für den Gegenangriff: wenn schon Spaltung des Landes, dann Brüssel zu uns. Soviel, je nach Lesart, Schneid oder Dreistigkeit, das hat die Flamen kalt erwischt und es erklärt ihre zeitweilige Lähmung.
Das wahre Problem der Vermittler ist: die entscheidenden Akteure spielen in verschiedenen Drehbüchern:
* Drehbuch Nummer 1: das der politischen Klasse Flanderns: eine vollständige Autonomie, eine Art von Defacto-Republik in einem verbleibenden Operetten-Königreich, einem ausgehöhlten belgischen Staat.
* Drehbuch Nummer 2: das der frankophonen politischen Klasse: einer Spaltung des Landes zuvorkommen, auf ein Groß-Brüssel hinarbeiten, um so eine Föderation Brüssel-Wallonien bilden zu können.
Können sich die Entscheider nicht von diesen Drehbüchern lösen, droht der schlimmste Fall, das worst-case-Szenario. Gelingt es ihnen aber, sind die Vermittler nicht chancenlos.