Die Krise ist damit aber nicht zu Ende, ganz im Gegenteil. Die Flamen fordern weiter eine neue Staatsreform. Drei Weise sollen jetzt nach einer Formel suchen, die festlegt, wie diese Verhandlungen ablaufen sollen und wer am Tisch sitzt.
Einer dieser drei Weisen ist Ministerpräsident Karl-Heinz Lambertz. Dieser Auftrag ist für Lambertz und die DG eine ohne Zweifel Ehre, aber auch nicht ganz ungefährlich.
Eins ist sicher: Der König hat einen Überraschungscoup gelandet. Zugleich hat er genau das in Taten übersetzt, was man so aus den Stellungnahmen der letzten Tage herauslesen konnte.
Weitgehend einig war man sich darin, dass Premierminister Yves Leterme weitermachen sollte. Der allgemeine Tenor: Das Land braucht eine funktionierende Regierung. Zugleich wäre es eine Schande, wenn das bisher Erreichte, insbesondere im sozial-wirtschaftlichen Bereich, im Papierkorb landen würde. Die alte Equipe, so vor allem die Meinung auf frankophoner Seite, sollte also schnell wieder auf die Schienen gesetzt werden.
Parallel dazu scharte sich das Kartell CD&V-N-VA geschlossen hinter Yves Leterme. Ohne die CD&V-N-VA ist auf flämischer Seite keine Mehrheit möglich. Wenn also die stärkste flämische Kraft an ihrem starken Mann festhält, ist auch hier das Signal klar: Der neue Premier kann nur der alte sein: Yves Leterme.
Indem der König den Rücktritt nicht angenommen hat, trägt er also dieser Entwicklung Rechnung.
Man darf sich die Frage stellen, ob das nicht von vornherein genau so geplant war. Der Verdacht liegt nahe, dass Yves Leterme mit seinem Rücktritt den König sozusagen nur missbraucht hat, um seine Haut zu retten und am Ende doch weitermachen zu können. Nun ja, da ist wohl was dran, aber das ist eine andere Geschichte ...
Doch hatte die CD&V da noch ein zweites Signal ausgesendet: Auf der einen Seite hielt man zwar an Yves Leterme fest. Zugleich waren aber für das Kartell jetzt die Frankophonen am Zug. Die sollten sich jetzt auch mal mit der Staatsreform herumschlagen müssen.
Übersetzt hat der König diese Forderung durch die Benennung der drei Vermittler. Darunter ist nämlich kein Flame, sondern: ein Wallone, Raymond Langendries, ein Brüsseler, François-Xavier De Donnea, und ... ein Deutschsprachiger, DG-Ministerpräsident Karl-Heinz Lambertz.
Dieses königliche Casting ist aber auch die Antwort des Palastes auf die Frage, wer denn nun bei den ominösen zwischengemeinschaftlichen Verhandlungen am Tisch sitzen soll. Für die Flamen können das nur die zwei großen Gemeinschaften sein, also die Flamen und die Frankophonen. Die Frankophonen verlangen ihrerseits, dass die drei Regionen am Tisch sitzen sollen, also Brüssel inklusive. Wenn der König einen Brüsseler und einen Deutschsprachigen in die Arena schickt, dann lautet seine Meinung: Alle Teilstaaten sollten am Tisch sitzen, alle Regionen, also auch die Brüsseler, und alle Gemeinschaften, also auch die Deutschsprachige.
Für die DG ist das zweifellos ein wichtiger Erfolg, der König untermauert damit die Stellung der DG im belgischen Staatsgefüge.
Doch hat wohl die Benennung von Karl-Heinz Lambertz zum Vermittler auch mit dem Profil des Ministerpräsidenten zu tun. Für Karl-Heinz Lambertz kommt die Entscheidung in jedem Fall einem Ritterschlag gleich. Inhaltlich kann der Eupener MP mit Sicherheit Konstruktives und Kreatives in die Diskussion einbringen. Dies zumal die DG im flämisch-frankophonen Streit eher als neutral empfunden wird.
Doch genau hier liegt auch ein Risiko. Den Status der Neutralität hatte die DG bislang nämlich immer mit Erfolg für sich beansprucht. "Wir halten uns aus dem flämisch-wallonischen Streit heraus, bringen nur zu gegebenen Zeitpunkt unsere Forderungen an den Mann", so lautete bislang im Wesentlichen die Maxime der Deutschsprachigen.
Jetzt, wo Lambertz in die Arena steigt, wird das buchstäblich zu einer Gratwanderung. Es wird wohl nicht ausbleiben, dass mal die Flamen, mal die Frankophonen ihn als Verbündeten der jeweils anderen Seite betrachten. Lambertz selbst glaubt zwar nicht an diese Gefahr, bereits jetzt spricht man in Flandern aber schon von den "drei frankophonen Vermittlern", da Lambertz schließlich Mitglied der frankophonen PS sei.
Doch stößt das Profil der drei Vermittler auch nicht überall auf Begeisterung. Karl-Heinz Lambertz sei doch "nur" der Ministerpräsident der kleinen Deutschsprachigen Gemeinschaft. Und Raymond Langendries oder François-Xavier de Donnea? Auslaufmodelle! Relikte einer längst vergangenen Zeit! Derlei Ansichten hört man auf beiden Seiten der Sprachgrenze. Und in der Presse gab es da auch schon so manchen hämischen Kommentar, wo die drei Vermittler sinngemäß als Pausenclowns tituliert wurden, deren Mission einzig und allein dazu diene, Zeit zu gewinnen.
Doch wenn die drei Vermittler auch vielleicht tatsächlich nicht zu den Stars der innenpolitischen Szene gehören, so ist das womöglich genau deren Stärke.
Erstens: Eben weil keiner von ihnen ernsthaft föderale Ambitionen hat, wird es zumindest auch niemanden geben, der ihnen einen möglichen Durchbruch nicht gönnen würde.
Zweitens: Es sind unverbrauchte Leute, die nicht damit beschäftigt sind, alte Wunden zu lecken.
Und last but not least: Alle drei sind keine Schuljungen, sondern gestandene und zudem noch aktive Politiker, und nicht zuletzt ausgewiesene Kenner des belgischen Staatsgefüges.
Wenn dann noch der Eindruck stimmt, dass Flamen und Frankophone inzwischen bereit zu sein scheinen, ihre ehemals harten Positionen aufzugeben und aufeinander zuzugehen, dann stehen die Erfolgschancen eigentlich gar nicht so schlecht. Man darf ja nicht vergessen: Die drei sollen ja auch nur Vermittler sein, Geburtshelfer. Am Ende werden es ohnehin immer die politischen Parteien sein, die eine Einigung besiegeln, oder eben nicht.
Erst der Knall vom vergangenen Montagabend, dann der Überraschungscoup drei Tage später: Beide Ereignisse zusammen könnten am Ende die entscheidende Stromschnelle gewesen sein im Hinblick auf eine Lösung der politischen Krise. Ohne fatalistisch klingen zu wollen: Karl-Heinz Lambertz und seine zwei Mitstreiter haben eigentlich ohnehin alles zu gewinnen: Auf dem Minenfeld, auf dem sie jetzt tätig werden müssen, sind vor ihnen schon ganz andere gescheitert ...