Das irische Referendum zeigt einmal mehr: Inzwischen wird jede Volksabstimmung, die in irgendeiner Weise mit der EU zu tun hat, zur Zitterpartie. Bezeichnenderweise haben ja alle anderen EU-Länder es vorgezogen, ihre Bürger nicht direkt zu dem EU-Reformvertrag zu befragen. Mit Ausnahme von Irland erfolgt die Ratifizierung also nur in den Parlamenten.
Europa muss Angst vor seinen Bürgern haben - eine gefährliche Entwicklung
Weltverbesserer und Besserwisser aller Couleur werden das irische "Nein!" als Sieg feiern: ein Sieg des kleinen Mannes über "die da in Brüssel". Ein Sieg der Straße über das neoliberale, unsoziale, elitäre, selbstgefällige Klübchen namens EU, das scheinbar nichts anderes im Sinn hat, als die Bürger zu schikanieren. So mancher wird das irische Nein! vielleicht sogar gleich als einen Sieg der Demokratie schlechthin verklären: der Volkssouverän, der sich über die Mahnungen des geschlossenen irischen Establishments hinweggesetzt hat.
Nicht dem Vertrag von Lissabon haben die Iren eine Absage erteilt. Die wenigsten dürften ihn wohl gelesen haben. Nein, die Rote Karte galt der EU. Jener EU, die seit 1973 55 Milliarden Euro nach Dublin überwiesen hat.
Jetzt die Iren dafür an den Pranger zu stellen, wäre aber zu einfach. Die anderen 26 EU-Länder haben es ja vorgezogen, den Lissabon-Vertrag im Eilverfahren heimlich, still und leise durch die Parlamente zu peitschen. Sie wussten wohl, warum. Dass das einzige Referendum über den Lissabon-Vertrag gleich wieder in einem Desaster endet, ist nämlich bestimmt kein Zufall.
Europa hat ein Legitimitätsproblem
Und vieles von dem, was man der EU vorwirft, ist auch nicht unbegründet.
Warum etwa leistet man sich zwei Parlamente, was ja allmonatlich einen gewaltigen Umzug erforderlich macht? Ist es noch normal, wenn man auf der einen Seite einen Kampf gegen das Rauchen führt, während man auf der anderen weiter die Tabakbauern finanziell unterstützt? Haben diese Brüsseler Bürokraten nichts Besseres zu tun, als theoretische Abhandlungen über die Krümmung einer Banane zu verfassen?
Das sind durchaus berechtigte Fragen, doch tut man der EU Unrecht, wenn man sie auf offensichtliche Fehlentwicklungen reduziert. Oft sind sie das Resultat eines Kompromisses aus inzwischen 27 Meinungen. In Belgien bekommt man ja inzwischen noch nicht einmal mehr zwei Standpunkte unter einen Hut. Hinzu kommt, dass man der EU ja de facto gar nicht erst die Möglichkeit gibt, gewisse dieser Probleme aus der Welt zu schaffen.
Der Lissabon-Vertrag sollte ja eben für mehr Transparenz und Demokratie sorgen, das EU-Parlament stärken und sogar den Nationalen Parlamenten eine Art Veto-Recht zugestehen. Dass das jetzt wieder auf der Kippe steht, mag da schon fast tragisch anmuten. Stattdessen droht jetzt erstmal Stillstand.
Doch hat das Misstrauen gegen die EU auch etwas von der viel beschworenen "Angst vor dem Schwarzen Mann". Viele Brandreden gegen die EU tragen deutliche Züge von Verschwörungstheorien. Wer glaubt denn allen Ernstes, dass 27 im Übrigen demokratisch gewählte Regierungen da in Brüssel hinter verschlossenen Türen einen Vertrag aushecken, der sie erstmal selbst entmachtet und der dann auch noch ihren Bürgern künftig das Leben zur Hölle machen wird?
In Irland hatte man eine ganze Latte von Schreckgespenstern an die Wand gemalt: Irland würde etwa künftig gezwungen, Prostitution, Homo-Ehe und Abtreibung zu legalisieren. Das ist völliger Unfug, aber in dieser Form nicht neu. Als es etwa um die Einführung eines einheitlichen EU-Führerscheins ging, behauptete eine britische Zeitung, die Autofahrer auf der Insel müssten damit künftig rechts fahren, was natürlich auch nicht stimmte.
Bezeichnend ist bei all dem allerdings, dass man der EU derlei Absurditäten tatsächlich zutraut. Das haben sich Kommission und Co. zwar auch selbst zuzuschreiben - nicht selten konnte man tatsächlich den Eindruck bekommen, dass das Regulieren und Reglementieren in Brüssel längst zum Selbstzweck geworden ist. L'art pour l'art.
Eine erhebliche Mitschuld tragen hier aber auch die nationalen Regierungen, die sich gerne hinter Brüssel verstecken, wenn es darum geht, unpopuläre Entscheidungen zu verkaufen. Und da werden gerne mal Maßnahmen als "Ausgeburt des Brüsseler Wahnsinns" hingestellt, die man selbst im Ministerrat mit ausgebrütet und mit verabschiedet hat.
Resultat: Die EU bietet inzwischen eine ideale Projektionsfläche für alles, was schief läuft
Dabei vergisst man viel zu oft, dass die EU ja nur ein Teil einer globalisierten Welt ist, dass auch sie sich im globalen Wettbewerb positionieren muss.
Die EU ist denn auch - bei allen Fehlern - nicht Teil des Problems, sondern Teil der Lösung. Und wenn das auch der Lieblingsspruch ist von Kommissionspräsident José-Manuel Barroso, so ist das dafür immer noch keine abgedroschene Phrase. Was glauben denn die EU-Skeptiker, die die Iren wohl jetzt zu ihren Heiligen verklären werden? Dass jeder für sich im globalen Wettbewerb besser dastehen würde? Wer die derzeitige wirtschaftliche Lage mit explodierenden Ölpreisen und galoppierender Inflation schon als schwierig empfindet, der würde sich noch wundern, wenn wir eben nicht von einem Binnenmarkt mit 500 Millionen Bürgern und einem starken Euro geschützt würden.
Wenn das irische Nein auch so einen romantisch-sympathischen Beigeschmack haben könnte, von wegen David siegt gegen Goliath, man sollte sich auch einmal die Frage stellen, ob sie sich die braven Iren nicht im Gegner geirrt haben.