Beide Spitzenpolitiker schlagen für Brüssel und Wallonien eine biregionale Föderation vor, ohne die Funktionsweise näher zu verdeutlichen. Aber auch in der schwammigen Formulierung ist es eine institutionelle Bombe. Die Schockwellen hielten sich indes in Grenzen.
Beim verdeckten Würfelpoker muss die Kombination, die der Spieler seinem Gegner nennt, nicht stimmen. Deshalb heißt das Spiel auf französisch dann auch "Poker menteur".
Die Herren Picqué und Demotte werden es als Studenten wohl gespielt haben, in ihrer Studentenkneipe, denn die Kombination, die sie jetzt ansagten, hatte es in sich und verunsicherte den Gegner ganz schön. Die Reaktionen gingen auf flämischer Seite von "absonderlich" bis "arrogant" und auf frankophonerer Seite von "nicht ungefährlich" bis "die Richtung stimmt".
Nun, beim Pokerspiel kommt es darauf an, das Setz- und Spielverhalten des Gegners zu beobachten, und auf das Tempo zu achten, mit dem Entscheidungen getroffen werden. Noch halten sich viele bedeckt, so richtig protestiert auf flämischer Seite hat lediglich die Brüsseler CD&V-Frontfrau und Ministerin Brigitte Grauwels. Ihr sp.a-Amtskollege Pascal Smet hielt sich zurück, der Open-VLD-Querdenker Van Hengel fragte gar süffisant, weshalb die flämische Regierung denn nicht ebenfalls eine Föderation mit Brüssel eingehe.
Das zeugt weniger von Liebe zu Picqué als von Frust und Ärger: Frust darüber, von der flämischen Regierung stiefmütterlich behandelt zu werden, und Ärger darüber, dann auch noch als "Dansaert-Flamen" geschmäht zu werden. Die im multi-kulti-geprägten Szeneviertel lebenden Yuppis rund um die Dansaertstraat gelten zudem als unsichere Kantonisten, was die flämische Sache angeht. Flanderns Minister-Präsident Peeters beeilte sich dann auch, zu versichern, Flandern lasse seine flämischen Brüsseler nicht im Stich.
"Wenn nicht jetzt, wann dann?", mögen sich dagegen Picqué, Demotte und vielleicht auch Di Rupo gesagt haben, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Picqué und vor allem Demotte sind zur Zeit die starken Männer in der PS, während ein innerparteilich geschwächter Di Rupo als Parteivorsitzender wohl auch für sich die Chance sah, seine Partei als Motor frankophoner Interessen zu positionieren.
Den uralten Streit zwischen Regionalisten und Anhängern der französischen Sprach- und Kulturgemeinschaft beendet das Poker-Papier zumindest vorläufig ugunsten der Regionalisten. Das hat durchaus Vorteile: In der gegenwärtigen Konstellation heißt es Flandern gegenüber soviel wie "ätsch, wenn ihr droht, dann können wir das auch, und im Fall der Fälle wären wir zu zweit gegen einen". Und bei positiver Lesart: "Ihr wollt, dass wir uns bewegen, voilà!". Würfelpoker halt.
Wobei es schon sehr erstaunlich ist, dass damit das langjährige Credo den Bach runter wäre, demzufolge jeder Frankophone Teil der französischen Kulturnation sei und die französische Gemeinschaft somit für ihn befugt, gleich wo er im Königreich lebt, also das, was dem politischen Flandern ein Gräuel ist. Bert Anciaux, Brüsseler Spirit-Minister und groß geworden in der Volksunie, war der erste, der diese überraschende Kehrtwende mit Freuden registrierte.
Die Eupener Regierung dürfte dies alles mit gemischten Gefühlen sehen: Je mehr Bewegung, je mehr Vermischung von Region und Gemeinschaft auf frankophoner Seite, desto mehr Argumente kann Eupen für eigene Misch-Kompetenzen, sprich Regionalbefugnisse ins Feld führen. Andererseits könnten die beiden Regionen versucht sein, Eupener Wünsche abzuweisen mit dem Hinweis auf seine kulturellen und gemeinschaftlichen Kernbefugnisse.
Doch es ist wohl ein Würfelpoker, und dem Papier dürfte keine lange Lebensdauer beschieden sein. Und was die von Picqué und Demotte beschworenen Gemeinsamkeiten angeht, kommen die spätestens Sonntag abend in Sclessin auf den Prüfstand: Wenn es dann zwischen Standard und Anderlecht zur Sache gehen wird, wird die wallonische Volksseele schon zeigen, was sie von den "Brusseleers" hält.